Anfängergeist Das Nichts willkommen heißen

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In den vielen Umbruchphasen in meinem Leben fühlte ich mich oft wie auf dünnem Eis. Meine alten Wahrheiten galten plötzlich nicht mehr. Bilder, die ich mir von mir selbst und meinem Leben gemalt hatte, kippten um. Solche Momente sind für mich immer wieder geprägt von einem tiefen Schmerz und einem Gefühl, ganz allein zu sein und nichts mehr zu wissen.  In den letzten Tagen hatte ich einige Erlebnisse, die mich genau in diesen Zustand des Nichtwissens brachten und in diesen Schmerz, den ich gar nicht mehr definieren möchte. Heute morgen ging ich dann in einen Nebel hinein, der für mich genau dieses Gefühl wiederspiegelte:

Nicht wissen, was kommt – Ungewissheit – Brüchigkeit – Anfängergeist – Nichts

Das Gefühl, ein absoluter Anfänger zu sein und eigentlich nichts zu wissen, ist für mich erst einmal sehr unangenehm. Das, was ich meinte zu sein, das, woran ich mich festhielt – meine Identifizierungen – kippen über Bord. Ich kann mich an nichts mehr festhalten. Was ich meinte zu können, kann ich auf einmal nicht mehr. Was ich meinte zu wissen, ist nicht genau genug oder stellt sich als falsch heraus. Was ich meinte zu sein, bin ich nicht wirklich – außer ich belüge mich selbst und andere.

Ein solches Gefühlskonglomerat kann bei mir geradewegs in eine depressive Phase führen. Die Tür geht auf und eine Horde von gierigen, besserwisserischen, selbstkritischen inneren Anteilen stürzt heraus und zerfleischt mich genüsslich. Es ist nicht schwierig, ein Ich innerlich und äußerlich zu zerfleischen, das sich selbst so ungewiss ist. Kritik von außen trifft in diesem Moment messerscharf. Dieser Zerfleischungsprozess lässt mich als müdes, leeres Etwas zurück, das kaum noch aufstehen kann.

Als ich gestern so stark spürte, wie dieses Gefühl von Traurigkeit, Einsamkeit, Unwissen und Brüchigkeit in mir aufstieg und dieses Gefühl des ständigen Scheiterns und Immer-wieder-neu-anfangens, blieb ich einfach in dem Gefühl, ohne mich dagegen zu wehren. Ich nahm es wahr als einen Teil von mir, der gerade da war und Aufmerksamkeit brauchte. Und ich konnte einen Geschmack davon bekommen, wie es ist, einfach da zu sein – ohne Kämpfen, ohne den Willen zur Veränderung, ohne Ausbrechenwollen. Ich ließ die Gefühle des Schmerzes zu und kam mir genau in diesem Moment sehr nah. Auf einmal war da etwas erleichtert – einfach, weil es so sein durfte, wie es gerade war.

Nicht zu wissen ist nur dann unerträglich, wenn ich mich dagegen wehre. Und ich wehre mich, weil ich nicht Nichts sein will. Da ist etwas, das denkt, wenn ich Nichts bin, wenn meine Bilder von mir selbst umstürzen, sterbe ich. Etwas meint, das Ich sei wichtig – das Ich in Form von Beruf, Wissen, Können, Besitz und auch das Ich in Form von Meinungen, Einstellungen, Beziehungen, Familienstand, Vergangenheit. Unser ganzes System fußt darauf, irgendetwas zu sein und besser noch – irgendetwas zu werden. Am wohlsten fühlen wir uns aber und am nächsten kommen wir uns selbst und anderen, wenn wir einfach da sein dürfen. Die größte Erleichterung stellt sich ein, wenn alles in uns da sein darf, was jetzt gerade da ist – auch wenn es sich unangenehm und schmerzhaft anfühlt.

Wenn der Schmerz da sein darf und gefühlt werden darf, entfaltet er sich auf einmal als starkes Signal von Lebendigkeit. Vielleicht verletzen sich deshalb manche Menschen selbst oder fordern sich in Extremsportarten das Schlimmste ab – einfach, um sich wieder spüren zu können. Irgendwo hin zu wollen, irgendetwas anderes sein zu wollen oder überhaupt ein Etwas als etwas begrenztes, klar definiertes sein zu wollen, beschränkt in Wahrheit unser Spektrum von Lebendigkeit. Vieles können wir nur werden, indem wir uns anderes abschneiden. Und vor allem: Viele Leistungen können wir nur erbringen, indem wir uns auf Funktionsmodus stellen und die echten Gefühle des Moments abschalten. Darin werden wir von frühester Kindheit an trainiert.

Gerade in Umbruchphasen, die alles in Frage stellen, können aber all die verborgenen Gefühle aufbrechen. In Wahrheit können wir uns in diesen Momenten manchmal zum ersten Mal wirklich begegnen. Daher lerne ich inzwischen, das Nichts und diese Momente der Brüchigkeit willkommen zu heißen. In Wahrheit sind wir niemals ein definiertes, klar umrissenes Etwas. Stattdessen sind wir ständig im Fluss, in Entwicklung und Veränderung.

Vielleicht können diese Gedanken für Dich hilfreich sein, wenn Du Dich gerade selbst in einem Umbruch befindest und darunter leidest oder wenn Du Dich selbst sogar gar nicht mehr spüren kannst. Wenn Du in dieser Phase Begleitung suchst, kann ich Dir Unterstützung anbieten.


Bild: privat

2 Kommentar

  1. Liebe Rona,

    hätte es nicht die zum Teil düsteren und beängstigenden Umbruchphase in meinem Leben gegeben, wäre ich heute nicht da wo ich bin. Sie haben mich immer weiter gebracht. Ich habe begriffen, dass ich sie als Chance sehen muss, sie annehmen muss, aus ihnen schöpfen kann. Sie bieten so viele Möglichkeiten – Chancen, die sonst ungenutzt blieben. Chancen zur Veränderung, zur Weiterentwicklung, zur Selbstfindung, zum Hinterfragen von Glaubenssätzen, die unser Denken und Handeln Tag täglich prägen.
    Eigentlich sollten wir solche Phasen mit offenen Armen willkommen heißen, denn sie haben ein so großes Potential.

    Ich bin ein großer Fan deiner Texte <3

    Liebe Grüße
    Mother Birth

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