Beziehungsgewalt: Wie kann ich helfen? Tipps für Freunde und Angehörige

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Wie kann ich helfen, wenn ich den Eindruck habe, dass eine Freundin oder Verwandte Beziehungsgewalt erleidet?

Es ist erschreckend und bedrückend, wenn Du glaubst, dass Deine Freundin oder Verwandte Gewalt in ihrer Partnerschaft erlebt. „Was kann ich nur tun, um ihr zu helfen“, fragen sich einige. Andere fragen: „Warum geht sie nicht?“ Wieder andere können sich überhaupt nicht vorstellen, dass hinter einer vermeintlich heilen Familienidylle die Hölle lauert.

Wenn Du helfen möchtest, sind Folgende Punkte wichtig:

  1. Offen und vertrauenswürdig sein
    Damit die Frau sich Dir öffnen kann, muss sie erst einmal ein gewisses Vertrauensverhältnis zu Dir haben. Sie muss das Gefühl haben, dass Du ihre Geschichte aushalten kannst und keine vorschnellen Urteile fällst. Desweiteren muss die Frau sich bei Dir sicher fühlen und wissen, dass Du unerwünscht nichts weitererzählst und nichts gegen ihren Wunsch unternimmst. Außerdem muss sie sich sicher sein, dass Du ihr glaubst und ihre Geschichte nicht in Frage stellst. Wenn Dich interessiert, warum Menschen überhaupt in einer solchen Beziehung bleiben, kannst Du hier weiterlesen. Wie so eine Beziehung entsteht, erfährst Du in den Interviews mit betroffenen Frauen.


  2. Sensibel zuhören
    Jemand, der beginnt über seine „Beziehungsprobleme“ zu sprechen, braucht erst einmal keinen Rat, sondern ein offenes Ohr. Ich halte es für sehr wichtig, genau hinzuhören. Das Zuhören und sprechen lassen, kann entscheidend dafür sein, dass die Gehörte ihre Lage erkennt und reflektiert. Menschen die Beziehungsgewalt erleben, werden oft schon an einem sehr frühen Punkt ihrer Erzählungen zum Schweigen gebracht über ein lapidar dahergesagtes „Streit kommt in jeder Partnerschaft vor“, oder „Zu einer Beziehung gehören immer zwei“, oder „Du bist ja auch keine einfache Partnerin.“ Solche Äußerungen verstärken das Gefühl, dass ihre Erlebnisse normal sind und dass sie selbst verantwortlich sind für die erlebte Gewalt. Viele Opfer von Beziehungsgewalt fühlen sich selbst verantwortlich und schuldig. Wenn ein Gesprächspartner das bestätigt, bleiben sie in dieser inneren Schleife hängen und werden wahrscheinlich nicht weitererzählen.
    Du kannst hier weiterlesen zu: Victim-Blaming und „Beziehungsprobleme öffentlich – warum es wichtig ist, genau hinzuhören“.


  3. Die Erkenntnis nicht erzwingen
    So schwer das auch zu ertragen ist: Du wirst Deine Freundin oder Verwandte nicht zur Erkenntnis zwingen können, wenn Du Beziehungsgewalt erkannt hast. Diesen Schritt muss jede/r Betroffene selbst gehen, um sich wirklich nachhaltig zu befreien und nicht ganz schnell wieder in der Beziehung zu landen. Eine Trennung aus einer solchen Beziehung ist häufig vergleichbar mit einem Drogenentzug, weil in vielen Fällen ein großes Abhängigkeitsverhältnis zwischen beiden Partnern entstanden ist. Hinzukommen große Ängste vor der Trennung, die bei gewalttätigen Partnern durchaus berechtigt sind und das Gefühl, es einfach nicht schaffen zu können. Der Erkenntnisprozess und der Befreiungsweg können Jahre dauern. Du kannst jedoch bestärken und unterstützen, sobald der Erkenntnisprozess einsetzt. Du kannst bestätigen, dass das Erlebte NICHT normal ist, sondern übergriffig und destruktiv. Du kannst bekräftigen, dass ein Schlag schon ein Schlag zu viel ist und nicht nur ein Ausrutscher. Du kannst sie darin unterstützen, ihr komisches Bauchgefühl ernstzunehmen und ihr das über Dein eigenes Bauchgefühl bestätigen. Du kannst die Gewalt als Gewalt benennen. Du kannst auch immer wieder sagen, dass Du Dir große Sorgen um sie machst. Wichtig ist, sie immer wieder darin zu bestärken, dass sie nicht schuldig oder verantwortlich ist für die Gewalt und dass es nicht ihre Aufgabe ist, etwas für die Verbesserung der Beziehung zu tun. Wichtig ist außerdem zu vermitteln, dass es bei einer solchen Beziehung niemals eine Verbesserung geben wird, auch wenn das vorübergehend immer wieder so aussieht. Die einzige Lösung ist eine Trennung. Eine Beziehung, in die Gewalt Einzug gehalten hat – ob psychische oder körperliche Gewalt – ist nicht zu retten.


  4. Da bleiben
    Bitte bleib da und verlasse Deine Freundin nicht, auch wenn es Dir langsam auf die Nerven geht, dass sie sich nicht trennt. Für Dich ist die Situation glasklar und es wird immer unterträglicher, das mitzuerleben. Sie ist jedoch wahrscheinlich in einem Strudel aus verwirrten Gefühlen und Gedanken gefangen und hat große Schwierigkeiten, klar zu sehen. ABER: auch der kleinste Erkenntnisschritt ist wichtig. Signalisiere ihr, dass Du sofort da bist, wenn sie Dich braucht und dass Du ihr hilfst. Achte bitte umgekehrt auf Deine Grenzen. Wenn es Dir zu viel wird, kannst Du eine Zeit lang Abstand nehmen und dennoch – für den Fall, dass sie sich entscheidet zu gehen – zur Verfügung stehen. Du kannst ihr außerdem professionelle Beratungsstellen vermitteln, die Du u.a. auf meiner Erste-Hilfe-Seite findest.


  5. Beispiele zeigen und Mut machen
    Viele Frauen denken, dass sie keine Kraft haben, um sich aus der Beziehung zu lösen. Ihr Selbstwertgefühl ist durch die Beziehungsgewalt geschwächt. Daher kann es sehr hilfreich sein zu lesen, wie andere es geschafft haben und wie es ihnen nach der Trennung geht. Dazu kannst Du ihr z.B. meine Interviewserie mit Frauen, die sich befreit haben, empfehlen. Desweiteren kannst Du ihr klar machen, dass sie schon jetzt unglaublich viel Kraft hat, weil sie in einer solchen Beziehung lebt oder leben konnte. Wenn sie diese Kraft freisetzt, kann sie sie für sich nutzen. Du kannst hier weiterlesen zu: „Bin ich stark genug? Über die Stärke von Frauen in Missbrauchsbeziehungen“
    Bekräftige die Frau in ihrer Stärke. Erinnere sie an ihre Fähigkeiten und Interessen, die sie vielleicht verloren hat. Nimm sie mit nach draußen und unternimm etwas Schönes mit ihr, wenn das möglich ist.


  6. Begleiten und praktisch helfen
    Wenn die Frau sich zu einer Trennung entscheidet, kannst Du ihr helfen, indem Du Hilfeeinrichtungen, Beratungsstellen, Frauenhaus, Anwalt und/oder die zuständige Polizeistelle recherchierst. Du kannst außerdem mit ihr gemeinsam dorthin gehen. Falls sie körperliche Gewalt mit sichtbaren Spuren erlebt hat, bekräftige sie bitte unbedingt, die Tat anzuzeigen. Du kannst eine Notfalltasche mit ihren wichtigsten Dingen bei Dir lagern. Hilf ihr, die wichtigsten Unterlagen zusammenzusuchen und ihr zu Hause abzusichern oder vorübergehend zu verlassen. Bitte sei Dir bewusst, dass gewalttätige Partner im Falle einer Trennung besonders gefährlich werden können. Wenn Deine Freundin also bei Dir unterkommt, solltet Ihr Euch gemeinsam absichern – am besten ebenfalls über eine Anzeige, wenn möglich mit Näherungsverbot für den Täter. Bekräftige die Frau bitte nach der Trennung unbedingt immer wieder darin, dass ihre Entscheidung der einzig richtige Weg war, auch wenn es jetzt erstmal schwierig wird. Bekräftige sie bitte auch darin, möglichst wenig Kontakt zum Täter zu halten, selbst bei gemeinsamen Kindern. Weitere Tipps für die innere Haltung, die die Frau nach einer Trennung braucht, erhältst Du in meinem Booklet „10 Schritte aus einer Gewaltbeziehung“ . Super helfen kannst Du auch bei Kinderbetreuung, Alltagserledigungen oder kleinen finanziellen Unterstützungen, z.B. bei Einkäufen, wenn Dir das möglich ist. Auch nach der Trennung ist es immer noch wichtig, einen verlässlichen Ansprechpartner zu haben, der der Betroffenen immer wieder den Kopf zurechtrückt, wenn sie z.B. die Erlebnisse verharmlost und den Ex-Partner idealisiert.


  7. Deine Grenzen kennen
    Zuletzt sollte Dir bewusst sein, dass Du eine professionelle Beratung und Therapie nicht ersetzen kannst und auch nicht musst. Unterstütze sie daher darin, sich professionelle therapeutische Unterstützung zu suchen und sich nach einer Trennung auch juristisch beraten zu lassen. Pass bitte bei der Begleitung immer auf Dich selbst und Deine Grenzen auf und tu nur das, was für Dich wirklich in Ordnung ist und was Du verantworten und aushalten kannst. Du bist damit auch ein gutes Vorbild.


Und dann möchte ich noch sagen:
Danke, dass Du so aufmerksam bist und helfen möchtest!

Wenn Du mehr wissen möchtest, darfst auch Du Dich z.B. an das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen wenden
KOSTENLOSE, BUNDESWEITE RUFNUMMER: 08000 / 116 016


Bild: Pixabay, Unsplash

4 Kommentar

  1. Guten Morgen, an sich ein guter Artikel, und doch hinterlässt er für mich einen bitteren Beigeschmack. Denn es sind ja nicht nur Frauen betroffen, die Zahl der betroffenen Männer steht denen der Frauen kaum nach. Und gerade für Männer gibt es kaum Ansprechpartner. Deshalb sind solche Freunde die Deine Hinweise kennen und beachten umso wichtiger für sie.

    Lieben Gruß
    Gabriele

    • Liebe Gabriele Remscheid,

      vielen Dank für Ihren Kommentar. Ja, es sind nicht nur Frauen betroffen. Aber diese Seite richtet sich ganz bewusst speziell an betroffene Frauen. Trotzdem sind viele Hinweise und Tipps auch auf Männer übertragbar.

      Herzliche Grüße
      Rona Duwe

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