Das Schuld-Abo Wie ich mit Schuldgefühlen umgehe

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Vor einigen Tagen hatte ich ein längeres Gespräch mit einer alleinerziehenden Mutter. Sie ist seit einem Jahr von ihrem Mann getrennt. Er hat sich in eine andere Frau verliebt. Sie haben zwei Söhne, die nun hauptsächlich bei ihr leben. Dieses Gespräch hat uns beide sehr entlastet, denn wir stellten fest, dass wir mit sehr ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Was immer wieder spürbar war, war ihr Schuldgefühl für ihre Lebenssituation. Sie kann schlecht schlafen. Sie fragt sich, wie es nächstes Jahr weitergehen soll, wenn ihr Trennungsunterhalt wegfällt. Sie fragt sich, was sie wohl dazu beigetragen hat, dass die Beziehung nicht funktioniert hat. Sie macht sich Sorgen um ihre Söhne.

Ich saß als Zuhörerin dabei und konnte vieles aus eigener Erfahrung bestätigen. In dieser Rolle war es aber leichter für mich, die Muster zu erkennen, die lähmen. Besonders deutlich wurde mir, wie sehr es die Schuldgefühle sind – ob offen oder verdeckt – die jegliche Kraft rauben. Auch ich habe seit geraumer Zeit mit Schuldgefühlen zu kämpfen. In der Nacht geht das Gedankenkarussel an. Mir wurde aber erst in letzter Zeit zunehmend bewusst, dass nagende Schuldgefühle scheinbar hauptsächlich ein Frauenproblem sind und dass Frauen sich offenbar ganz anders mit Selbstzweifeln und ihrer Außenwirkung herumschlagen als Männer.

Warum ist das so? Warum fühlen wir uns für so vieles verantwortlich, das wir gar nicht verantworten können? Warum laden wir uns alles auf die Schultern und nehmen freiwillig noch das Gepäck der anderen mit? Warum trauen wir den anderen nicht zu, dass sie selbst ihre Päckchen tragen können und sollen – auch unsere Kinder?

In vielen Gesprächen, die ich  mit Alleinerziehenden führte, stellte sich heraus, dass bei vielen von uns das Schuldgefühl den Kindern gegenüber so stark wurde, dass man unbemerkt begann, sie mit Samthandschuhen anzufassen, keine Konflikte mehr austrug mit ihnen, sie ihre Schwierigkeiten nicht auch mal selbständig bewältigen oder die Folgen ihrer Handlungen erleben ließ. In gewisser Weise begann auch ich meine Kinder nach der Trennung in Watte zu packen. Aber ist das fair? Aus meiner eigenen Erfahrung mit der Trennung meiner Eltern kann ich sagen, dass mir das In-Watte-packen nicht geholfen hat. Mir war Ehrlichkeit wichtig.

Ich habe auch mit großen Schuldgefühlen meinem Expartner gegenüber nach meiner ersten Trennung zu kämpfen gehabt. Das war ein Grund, warum ich viel zu lange zögerte, klare Unterhaltsregelungen zu vereinbaren. Erst mit Hilfe einer Beistandschaft wurde mir klar, dass es hier nicht um Geld für mich geht, sondern um Geld für unseren Sohn und dass es unserem Sohn zusteht, auch finanziell von seinem Vater mitgetragen zu werden.

Umgekehrt erlebe ich die Schuldzuweisungen von außen an Frauen – insbesondere in ihrer Rolle als Mutter – viel ausgeprägter als an Männer in ihrer Rolle als Vater. Das steigert sich besonders, wenn Frauen alleinerziehend werden. Deutlich wird das, wenn man sich folgende Fragen stellt:

  • Wie häufig werden Männer gefragt, ob sie nicht ein schlechtes Gewissen haben, dass ihr Kind jetzt in der Kita ist und dass sie arbeiten?
  • Wie häufig wird Männern die Frage gestellt, ob das mit der Trennung wirklich sein musste und was sie dazu beigetragen haben, dass es in der Beziehung nicht lief?
  • Wie oft hören Männer die Frage, warum sie sich nicht häufiger um ihre Kinder kümmern nach einer Trennung?
  • Wie oft müssen sie sich rechtfertigen, wenn sie keinen Unterhalt zahlen?
  • Wie häufig müssen sie sich als getrennte oder geschiedene Väter vor einem Arbeitgeber beweisen und erhalten am Ende doch keinen festen Job?
  • Über wen wird hinter vorgehaltener Hand getuschelt, getratscht und gemutmaßt, wenn das Kind aus der Spur läuft?
  • Wer wird wegen seines Erziehungsstils und Umgangs mit den Kindern von Erzieherinnen, Lehrern und Therapeuten beraten und hinterfragt?
  • Und wer erfährt besonders viel Anerkennung und Aufmerksamkeit, wenn er in der Kita zum Basteln erscheint?

Es kann also sein, dass von außen und innen Druck entsteht und dass die Päckchen, die dadurch zu tragen sind, immer schwerer werden. Bei mir kommt noch ein hoher Perfektionsanspruch dazu. Ich möchte keine Fehler machen, insbesondere nicht mit meinen Kindern. Dennoch merke ich, dass das gar nicht möglich ist. Tagtäglich mache ich Fehler. Tagtäglich fällt mir vieles auf, das ich besser machen könnte. Das verfolgt mich. Ich möchte es loswerden, weil ich spüre, wie sehr mich das belastet. Und während ich das loswerden möchte, entsteht noch mehr Druck. Ein Teufelskreis.

In den letzten Wochen habe ich mich intensiv damit beschäftigt, wie ich mich von Schuldgefühlen entlasten und befreien kann. Ich habe vieles gelesen und mit anderen gesprochen. Unter anderem hat Alexandra Widmer auf starkundalleinerziehend.de einen sehr hilfreichen Podcast zu dem Thema verfasst.

Hier sind einige Ideen, die sich für mich herauskristallisiert haben:

  1. Schuldgefühle und Selbstzweifel unterscheiden sich von einer Reflektion von Fehlern. Weil ich ein Mensch bin, mache ich immer wieder Fehler. Manche Fehler mache ich sogar immer wieder. Meine Fehler sprechen mir aber nicht meine Existenzberechtigung ab. Ich darf mit Fehlern sein. Ich darf unperfekt leben.
  2. Schuldgefühle werden durch den „Inneren Kritiker“ verursacht, der mir alles madig macht und in den Dreck zieht. Dieser innere Kritiker ist bei mir sehr, sehr stark. Er ist so stark, dass der innere Kritiker sogar die Existenz des inneren Kritikers kritisiert. Wenn ich also spüre, dass ich mich innerlich die ganze Zeit kritisiere und Schuldgefühle habe, verurteilt der innere Kritiker genau das. Er möchte am liebsten, dass ich in die Autowerkstatt gehe und mir die innere Kritik und die Schuldgefühle herausnehmen lasse. Absurd, denn damit vernichtet er sich selbst. Die Lösung, die sich für mich gut anfühlt ist, zu akzeptieren, dass ich sehr kritisch mit mir selbst bin und mich damit einfach sein zu lassen und zu erlauben. Das beendet bei mir den Kreislauf der Kritik an der Kritik und des Schuldgefühls wegen des Schuldgefühls.
  3. Schuldgefühle sind eigentlich eine schädliche Allmachtsphantasie. Was mir immer wieder hilft, wenn ich mich für alles verantwortlich und schuldig fühle ist der Satz: Ich bin nicht Gott! Hinter dem Gefühl, alles zu verantworten, steht die Phantasie über alles Macht zu haben. Aber diese Allmacht habe ich gar nicht.
  4. Schuldgefühle kann ich durch Humor entmachten. Wenn ich z.B. die Aussagen des inneren Kritikers überspitze und bis ins Extrem übertreibe, merke ich, wie absurd sie sind. Das gelingt mir selbst aber am besten, wenn ich mit einem anderen Menschen darüber rede.
  5. Schuldgefühle entsprechen nicht der Realität. In der Realität gibt es Schicksalsschläge, Pech und Glück. Nicht alles, was mir im Leben passiert, habe ich selbst verschuldet. Dieses Bewusstsein entlastet mich.
  6. Schuldgefühle sind wie ein Abonnement, das ich aus der Vergangenheit mitgenommen habe oder das mir von außen zugeschrieben wird. Ich muss das aber nicht weiter mitnehmen. Ich kann das Abonnement abbestellen oder gar nicht erst beauftragen.

 

Ich befinde mich immer noch auf dem Weg, gute Strategien für mich herauszufinden, mit Schuldgefühlen umzugehen. Daher interessiert mich: Wie ist das bei Dir? Hast Du auch häufiger Schuldgefühle? Was hilft Dir, Dich zu entlasten? Ich freue mich auf Deine Kommentare.


Bild: Pixabay, jackmac34

9 Kommentar

  1. Das Leben ist manchmal wirklich ungerecht.Das Schlimmste sind wirklich die Schuldgefühle .Ich suche immer nach meinem Fehler .Was hab ich falsch gemacht.Hätte ich was ändern können und bin ich nicht richtig wie ich bin.Die Trennung nagt sehr an meinem Selbstbewusstsein.Manchmal fühle ich mich ganz klein.Deine Ideen wie ich mit Schuldgefühlen und Selbstzweifel umgehen kann finde ich klasse.Ich habe sie direkt für mich verinnerlicht .

    • Tja, Leben halt. Für mich ist dieser Umgang mit Schuldgefühlen auch die ganze Zeit ein work in progress und es gelingt mal besser, mal schlechter. Bis bald! Danke für Deinen Kommentar.

  2. Die Zeilen sprechen mir aus Herz und Seele…danke dafür schön wenn man selbst im nachhinein noch erfahren darf das es vielen Frauen so geht oder ergangen ist

  3. Ich habe diesen inneren „Kritiker“ mal probeweise für 2 Wochen in den Urlaub geschickt. In dieser Zeit habe ich Dinge getan oder zugelassen, die ich mir sonst strikt verboten habe. Als nichts Schlimmes passierte und die Welt sich weiterdrehte, dachte ich, Mensch, es geht auch anders! Mein Blick hat sich erweitert, ich sehe vieles jetzt mit mehr Abstand. Bei den 3 Kindern muss das Gesamtpaket stimmen und nicht jede klitzekleine Handlung oder Aussage, die sie treffen. Es sind Kinder. Und sie haben noch jede Menge Zeit, alles zu lernen. Ihre Fehler sind nicht mehr meine Fehler. Sondern ich bin die leitende Hand, die ihnen hilft, aus ihren Fehlern zu lernen und Strategien zu entwickeln, mit schwierigen Situationen umzugehen. Der innere Kritiker bleibt seitdem für unbestimmte Zeit im Urlaub!

  4. Das Wort ‚Schuld‘ habe ich aus meinem Vokabular gestrichen. Wie wäre es mit einem Lösungs-Abo?
    Wenn eine Partnerschaft, Freundschaft oder eine andere Art von Beziehung nicht mehr fortgeführt werden kann, wird schnell nach einem/einer Schuldigen gesucht.
    Aber warum muss jemand diese Bürde tragen? Was bringt mir dieser „Titel“?
    Wenn ich mich mit dem Suchen danach beschäftige, verbleibe ich gedanklich und emotional in der Vergangenheit, was mich gerade zu Anfang einer Trennung kostbare Energie kostet, die ich für mein Weiterkommen, für Lösungen in meiner neuen Lebensphase brauche.

    • Toll, Dorothee. Wenn Du das für Dich so schaffst, ist das natürlich optimal. Es ist richtig, dieser Titel bringt nichts. Aber es ist dennoch für einige schwer, sich aus diesem Muster zu befreien.

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