Kämpfen aufgeben Denn Kampf ist Beziehung

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Ein wesentlicher Moment vor der Trennung von meinem Ex-Partner war die Erkenntnis, dass all das Kämpfen, das ich über die Jahre betrieben hatte, sinnlos war. Ich hatte so lange diskutiert, um Verständnis gerungen, mich Auseinandersetzungen ausgesetzt, die extrem anstrengend waren und mich völlig nackt werden und verzweifeln ließen. Es gab Momente, wo ich schreiend und weinend auf dem Boden lag – ein Zerrbild meiner selbst. In all diesen Kämpfen lag immer noch Hoffnung. Ich hatte Hoffnung für uns, unsere Beziehung, unsere Familie. Für diesen Preis war ich bereit sehr viel zu tun. Ich war sogar bereit, mich selbst zu opfern. Auf keinen Fall wollte ich aufgeben. Ich wollte einstehen für meine Rechte und für die Rechte meiner Kinder. Ich wollte kämpfen um die Beziehung, auch wenn ich schon sehr lange – fast von Anfang an – spürte, dass es mir nicht gut tut.

Es gab dann eine Wendung, in der das gewaltsame Gesicht meines Ex-Partners deutlich sichtbar wurde. Noch einmal versuchte ich, Verständnis zu gewinnen und merkte, dass ich auf Granit biss. In diesem Moment wurde mir schlagartig klar, dass ich aufgeben musste. Ich hörte von einem Moment auf den anderen auf mit dem Kämpfen. Es wurde ganz deutlich, dass mir kein anderer Weg blieb als mich zu trennen. Als ich aufgab, hatte er auf einmal keine Macht mehr über mich. Er versuchte alles, um die Macht wiederzuerlangen. Zuerst provozierte und beschimpfte er mich. Dann beteuerte er seine Liebe und gelobte Besserung. Er bettelte und bat. Ich selbst war nur noch stumpf und leer. Ich hatte mich unter eine Schutzglocke begeben. Ich reagierte weder auf seine Provokationen (auch wenn sie mir sehr weh taten und mich wütend machten), noch auf seine Liebesschwüre (auch wenn ich dem gern nachgegeben hätte, weil ich ihn immer noch liebte). Mit all meinem reaktiven Verhalten hörte ich schlagartig auf.

Im Taoismus gibt es das „Wu wei“. Es beschreibt eine innere Haltung, in der man durch Nichthandeln handelt. Es bedeutet nach meinem Verständnis eine Hingabe in den Moment. Aus dieser Hingabe heraus kann sich ein Handeln entwickeln, das der tatsächlichen gegenwärtigen Situation angemessen ist. Normalerweise neigen wir dazu zu reagieren. Jemand verletzt uns und wir wehren uns und wollen das beenden. Jemand streichelt uns und wir genießen das und wollen das auf jeden Fall verlängern. All diese Verhaltensweisen sind Reaktionen auf das Verhalten eines anderen. Es sind keine freien und eigenmächtigen Handlungen. Wenn wir uns aber der flüssigen Struktur des Moments hingeben, hören wir auf in den Automatismus der Reaktionen zu verfallen. Wir bleiben wach und bei uns. Wir können darin Verhaltensmöglichkeiten entwickeln, die frei und unabhängig sind vom Verhalten anderer. Wir können plötzlich sehen, dass wir uns entscheiden können, wie wir handeln.

Narzisstisch veranlagte Menschen neigen dazu, ihre Mitmenschen zu manipulieren. Sie haben ein feines Gespür dafür, welche Äußerungen Dich verletzen und wie sie es dennoch anstellen müssen, dass Du bleibst. Sie halten Dich in einer seelischen Abhängigkeit. Es kann sogar so sein, dass Du Dich selbst mit der Zeit in dieser seelischen Abhängigkeit verwurzelst, ohne es zu merken. Nicht ohne Grund sprechen viele Frauen, die eine solche Beziehung erlebt haben, von einer Sucht.

Sogar wenn Du Dich bereits getrennt hast, kann diese Abhängigkeit unbemerkt weiter bestehen. Der Partner hat meist kein Interesse daran, Dich loszulassen. Er manipuliert Dich dann zum Beispiel „hintenrum“ über gemeinsame Kinder. Er hält Dich beschäftigt. Du wirst immer und immer wieder emotional geködert und am Ball gehalten. Das äußert sich dann z.B. darin, dass Du nicht schlafen kannst, weil Du Dich über seine Bemerkungen oder sein Verhalten ärgerst. Er hält sich vielleicht nicht an Vereinbarungen und bringt Dich dazu, wieder und wieder mit ihm zu diskutieren. Oder er schwärmt Dir auf einmal vor, wieviele Frauen sich für ihn interessieren, um Dich eifersüchtig zu machen. Oder er zahlt keinen Unterhalt für die gemeinsamen Kinder. Oder er setzt Umgangsregelungen durch, die für Dich und Deine Kinder eine Quälerei sind. Oder er hält sich einfach an keine Umgangsregelungen, verschiebt ständig kurzfristig Termine etc. Im schlimmsten Falle zerrt er Dich vor Jugendamt und/oder Gericht und geht mit Dir in einen jahrelangen, kräftezehrenden Rechtsstreit um gemeinsames Vermögen und/oder gemeinsame Kinder. Da sich diese Menschen sehr gut verstellen können, stehst Du auf einmal auf der Verliererseite, wirst als nervliches Wrack empfunden, das nicht gut für die Kinder sorgen kann oder das den armen Mann um Lohn und Brot bringt. Opfer- und Täterrolle werden vertauscht.

Um Dich aus diesem Strudel zu befreien, kann es sinnvoll sein, sich völlig absurd zu verhalten. Wenn Du z.B. angegriffen wirst, kannst Du – statt zum Gegenschlag auszuholen und Dich zu verteidigen – einfach nicht reagieren und z.B. den Ort des Geschehens kommentarlos verlassen. Eine schwierigere Strategie kann sein, IN der Situation sachlich und ruhig zu bleiben. Im günstigsten Fall kannst Du den Kontakt komplett abbrechen. Zumindest für die erste Zeit nach der Trennung von einem solchen Partner wird das empfohlen. Wenn eine Kontaktsperre möglich ist, kannst Du Dich am einfachsten aus der Abhängigkeitsstruktur lösen, da er Dich nicht mehr direkt beeinflussen kann.

Was geschieht, wenn Du absurd handelst und nicht mehr reagierst? Indem Du völlig unerwartet nicht mehr auf Provokationen eingehst, bringst Du Dein Gegenüber aus dem Konzept. Das ist eine Haltung, mit der narzisstisch veranlagte Menschen nicht viel anfangen können. Mit Kampf kennen sie sich aus und können ihn regelrecht genießen. Wenn Du aber plötzlich auf eine Kampfansage nicht mehr reagierst, wird ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen. In Folge werden sie wahrscheinlich ihre Provokationen steigern oder sie werden die Strategie ändern und sich einschmeicheln oder versuchen, Dich um den Finger zu wickeln. Bei gewaltbereiten Ex-Partnern kann dieses Verhalten eine so starke Provokation darstellen, dass sie richtig gefährlich werden. Insofern solltest Du Dich schützen und nicht allein mit einem gewaltbereiten Ex-Partner sein. Im günstigsten Fall werden sie langsam und stetig das Interesse an Dir verlieren.

Du wirst wahrscheinlich merken, dass Dir ein solches Verhalten extrem viel Disziplin abverlangt. Es wird Deinen Gefühlen völlig widersprechen. Deine Gefühle werden wahrscheinlich Sturm laufen und Dir wird das Herz bis zum Hals schlagen. Andererseits: Wenn Du in dieser Haltung bleibst und sie immer und immer wieder übst, wirst Du merken, dass Du Dich dadurch wirklich befreien kannst von Deinem Ex-Partner. Egal, wie er sich verhält, übst und lernst Du, bei Dir zu bleiben. Du bist nicht mehr gefangen in Deinen emotionalen Reaktionen auf seine Angriffe, die Dich am Ende schwächen. Du lernst mehr und mehr, dass Du entscheiden kannst, wie Du Dich verhältst. Dadurch gewinnst Du wieder mehr Sicherheit und Selbstvertrauen.

Diese Änderungen Deiner inneren Einstellung und die Änderungen Deines Verhaltens kosten Kraft. Gleichzeitig wirst Du aber Kraft zurückgewinnen, weil Du langsam und stetig wieder Herr Deiner selbst werden kannst und die Kontrolle über Dein Verhalten zurückgewinnst. Ich glaube, dass Dir diese Haltung selbst dann helfen kann, wenn Du von Deinem Partner vor Gericht gezwungen wirst (wobei mir bewusst ist, dass es in dieser Situation besonders schwierig ist). Ich denke aber, dass Du mit einer ganz anderen Überzeugungskraft auftreten kannst, wenn Du nicht mehr in Deinen Reaktionen gefangen bist. Du kannst klarer und ruhiger entscheiden, welcher Weg der Richtige sein könnte und welche Strategien Dir wirklich helfen können. Andere Menschen werden Dich anders, stärker und authentischer erleben, wenn Du nicht mehr verzweifelt um Dich schlägst, um Dich zu verteidigen. Du wirst dann sogar im entscheidenden Moment besser und kraftvoller für Dich einstehen können und nur dann in einen Kampf gehen, wenn es wirklich nötig ist und wenn Du Dich selbst dazu entscheidest.

So lange Du im Kreislauf von Aktion und Reaktion verharrst, hat Dein Ex-Partner noch Macht über Dich und Ihr haltet Euch beide IN der Beziehung. Du beendest diese Beziehung für Dich erst dann wirklich, wenn Du es schaffst, Dich nicht mehr auf dieses „Spiel“ einzulassen. Ich glaube, erst dann kannst Du für Dich inneren Frieden finden.

 

Bild: Pixabay, WerbeFabrik

7 Kommentar

  1. Ich finde die Meta-Ebene am hilfreichsten. Wenn Menschen sich maßlos und egoistisch verhalten, wenn sie eine Partnerschaft mit Besitztum an der Person verwechseln, die sie kontrollieren und ihnen Lebensweise vorschreiben und bestimmen können, muss man darüber aufklären und detailliert die Art der Kränkung beschreiben, damit die Dinge auch von außen erkennbar werden. Denn nur mit Hilfe von außen, schafft man es, sich neu aufzustellen. Das gilt übrigens für beide Geschlechter. Außerdem muss man selbst natürlich gute und gesunde Grenzen haben. Wer das nicht von seinen Eltern mitbekommen hat, muss es sich als Erwachsener mit Hilfe einer Therapie selber aufbauen. Die eigenen Grenzen erkennen und die Grenzen zu anderen klar und deutlich und rechtzeitig setzen, wenn sie überschritten werden. Wer das kann, kommt meist erst gar nicht in eine Gewaltsituation, die sich ja oft langsam und Schritt für Schritt aufbauen. Der hat schon lange, lange vorher gemerkt, das die Dinge in eine falsche Richtung laufen. Also, immer wachsam für sich selbst bleiben. Und sich nicht mit üblen Menschen einlassen.

  2. Sehr interessanter Artikel! Denkst du diese Einstellung funktioniert auch auf einem abstrakteren Niveau? Z.b. im Umgang mit ständiger subtiler Diskriminierung als alleinerziehende? Hilfreich aber sich auch für den Umgang mit einem narzisstischen vorgesetzten, von dem man sich ja in der Regel nicht unbedingt trennen kann… (ausser durch Kündigung, was schwierig ist wenn man auf den Job angewiesen ist).

    • Liebe/r bg,

      vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich denke, dass das überall hilfreich sein kann – zumindest habe ich es so erlebt. Ich hatte auch einmal einen sehr cholerischen Vorgesetzten. Mit ihm konnte ich nur umgehen, indem ich nicht mehr auf seine Provokationen und Beschimpfungen eingegangen bin und stattdessen ruhig und sachlich geblieben bin. Das war sehr schwer. Gleichzeitig wurde mir klar, dass er plötzlich sehr schwach wurde dadurch, dass ich nicht mehr wie gewohnt reagierte. Übrigens würde ich immer dazu raten, sich in so einem Fall einen anderen Job zu suchen, denn solche ungesunden Arbeitsverhältnisse können krank und am Ende arbeitsunfähig machen. Ich glaube, dass es in allen Konflikten hilfreich ist, aus dem Aktions-/Reaktions-Muster auszubrechen und wieder eigenmächtig zu entscheiden. Es gibt natürlich Fälle, in denen das besonders schwer ist.
      Herzliche Grüße

  3. Danke für diesen sehr hilfreichen Artikel. Ich kann mich sehr gut wiederfinden und es hilft auch Anderen, Frauen in dieser Situation besser zu verstehen. Aber was ich mich frage: was macht „Frau“ mit diesen Abhängigkeits- und Schuldgefühlen? Das ist sicherlich noch mal einen eigenen Artikel wert 🙂

    Und was ist, wenn es um Themen geht, bei denen ich als Mutter einfach nicht ausweichen kann? Wo die Sicherheit und der Schutz der Kinder so wichtig ist, dass kein „Zurückgehen“ möglich ist? Kein absurdes Verhalten?

    • Liebe Lini,

      vielen Dank für Deinen Kommentar. Es freut mich, dass Du den Beitrag hilfreich empfindest. 🙂 Zum Thema Schuldgefühle habe ich schon einmal geschrieben. Siehe hier: https://phoenix-frauen.de/die-schuldfrage/
      Ja, und sicherlich gibt es Themen, die besonders an die Substanz gehen und wo es schwerfällt, einen Abstand einzunehmen. Das gilt besonders, wenn eigene Kinder angegriffen oder instrumentalisiert werden. Dennoch gilt für mich hier gerade ganz besonders, dass es sich lohnt sich nicht durch emotionale Reaktionen auf’s Glatteis führen zu lassen. Auf diese Reaktionen warten narzisstisch veranlagte Menschen nämlich geradezu. Auch wenn es hier extrem schwer fällt, ist es wichtig, erst einmal in Ruhe zu überlegen, was die richtige Strategie ist. Aus einer Haltung der Verzweiflung und Verteidigung heraus zu handeln, kann gefährlich werden. Eine kämpferische Haltung ist möglich, zu der man sich bewusst entschieden hat und die nicht nur als Reaktion auf die Provokationen des anderen entsteht. In diesem Fall gilt es aber zu bedenken, dass ein kämpferisches Verhalten des Gegenübers sehr reizvoll für narzisstisch veranlagte Menschen ist. Das kann regelrecht Öl ins Feuer gießen und den Konflikt eskalieren lassen.
      Herzliche Grüße
      Rona

  4. Liebe Rona Duwe,
    auch wenn der Beitrag schon älter ist, es war wahnsinnig interessant.
    Im Artikel sehe ich mich selbst.
    Bevor ich vieles über Narzissmus gelesen habe, habe ich den Kontakt abgebrochen zu meinem Ex vor 3 Wochen. Ich erwische mich täglich, dass ich an Ihn denke und auch manchmal Sehnsucht zu Ihm habe.
    Wenn das ist, lese ich viel über Narzissten und halte mir immer vor Augen was Er mir angetan hat.
    Was seine Tochter mir auch angetan hat.
    Auch vor Augen halte ich mir die stressfreien 3 Wochen,
    Jeder Tag war schön.
    Was ich mir wünschen würde, nicht mehr an Ihn denken zu müssen!
    Liebe Grüße
    Anja

  5. 2 Jahre sind es her und hatte eine schöne Zeit!
    Vergessen werde ich die psychische und körperliche Gewalt nie, denn dies wird mir niemals mehr passieren!
    Ich kann tun und lassen was ich will, meine Freiheit genießen!
    Das Leben ist so schön!

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