Keiner zweifelte mehr an mir Erfahrungen mit einer Gewaltbeziehung

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Möchtest Du wissen, wie andere Frauen sich aus einer Beziehung lösen konnten, in der sie Gewalt erlebt haben? Oder möchtest Du wissen, wie sich eine solche Partnerschaft entwickelt und warum eine selbstbewusste Frau zunächst sogar häufig bei ihrem gewalttätigen Partner bleibt? Wie geht es einer Frau, die solch schwierige Erfahrungen hinter sich hat? Wie sieht ihr Leben danach aus?

Rani (49) ist Friseurin geworden, nachdem sie eigentlich Bühnenvisagistin studieren wollte. Sie hat eine erwachsene Tochter und 2 Söhne, die bei ihr leben. Alle drei Kinder studieren.
Rani erzählt sehr offen und ausführlich ihre Geschichte. Ich habe sie nur an wenigen Stellen gekürzt.

Bitte beachten: Teile des Interviews können triggern, da Gewalterfahrungen geschildert werden.

Wie war das Verhältnis zu Deinem Partner am Anfang, als Ihr Euch kennengelernt habt?

Wir waren beide vom Leben enttäuscht und sehnten uns nach Wärme und einem zuhause. Er schien mir sehr betrübt. Ich dachte, ich könnte wieder Licht und Freude in sein Leben bringen.

Wie hat sich die Beziehung im Laufe der Zeit entwickelt?

Am Anfang war ich sehr daran interessiert, was ihn interessiert. Er sagte aber, da gäbe es nichts. Ich hätte stutzig werde müssen, als ich fragte, welche Ausstellungen ihn interessieren würden. Er sagte, er ginge in kein Museum. Wir haben dann Spaziergänge in der Natur mit seinem Hund für uns gefunden. Das war sehr entspannt und wir waren ein gutes Team!

Erst als ich meinen Bandscheibenvorfall hatte, 6 Monate im Bett liegen musste und längere Zeit nicht arbeiten konnte, ging es langsam los. Dann kam meine Tochter (huch! Unsere). Das war am Anfang sehr, sehr harmonisch! Er war ein toller Vater, vergaß mich aber mehr und mehr. Als ich das anmerkte,war seine Antwort nur, ich wäre erwachsen und solle mich um mich selber kümmern. Auf Grund meines Rückenleidens und wegen des Kinderwagen könnten wir nun nicht mehr am Strand spazieren gehen.

Die Streits begannen.

Als meine Tochter 2 Jahre war wollte ich gehen, ihn verlassen, dem deprimierendem Leben entkommen. Er bat mich zu bleiben. Ich blieb, fühlte mich aber mehr und mehr als Mutter seines Kindes und nicht als seine Partnerin und Vertraute. Ich bat ihn, mich mal anzusehen, vielleicht sogar mich mal anzulächeln. Die Antwort kam so herablassend, dass es mir heute noch Bauchschmerzen macht: „Räum mal den Tisch ab. Dann wirst du vielleicht mal angelächelt.“

Er wurde … wie soll ich ’s beschreiben? Ich wurde immer mehr klein gemacht!

Meine Tochter wünschte sich so sehr ein Geschwisterchen und ich hatte einen sooo grossen Kinderwunsch. Aber es klappte nicht. Viele Untersuchungen waren bei mir nötig bis man heraus fand, dass ich ohne Ovulationsauslöser nicht schwanger werden kann. Also kam es zu Sex nach Kalender. Und mein Mann war RICHTIG sauer, weil es mir jetzt auch egal war ,wie es IHM gefällt. Nach 2 Jahren war ich endlich schwanger. Das war für 10 Jahre das letzte Mal, dass er mich angefasst hat.

Als ich ihm eines Tages das Ultraschallbild zeigte war er so wütend, so zornig, dass er seine Mittagspause abbrach und davon fuhr. Das war der Anfang vom Ende. Von da an wurde ich immer schlechter behandelt. Jeden Tag ein bißchen mehr. Ich habe bis dahin mein ganzes Vermögen in sein marodes Haus gesteckt, mein Auto verkauft. Wie sollte ich gehen? Pleite und allein mit 3 Kindern, die ich unbedingt wollte.

Schon mit 2 Jahren stellte sich heraus, dass der Jüngste hochbegabt ist. Das stellte uns alle vor eine große Aufgabe und brachte uns an den Rand unserer Kräfte.

Wenn ich vor Freunden erwähnte, dass ich jedes Wochenende durch die Hölle gehe, weil mein Mann mich anbrüllt glaubte mir niemand, da die meisten ihn von klein auf kannten (meinten sie zumindest). Stattdessen wurde mir unterstellt, ich hätte sie nicht alle, da ich aus der Großstadt kam, erzählte, dass dass ich am Ende der Woche schon ängstlich und nervös war wegen meinem vor allem am Wochenende brüllenden Mann und dass ich meinem Sohn mit 2 das Lesen beigebracht hätte (was absoluter Quatsch ist!!!)

Somit wurde meine Isolation, die mein Mann schon vorher bei meinen Freundinnen initiierte, noch weiter verstärkt. Ich bemühte mich, die Familie zusammen zu halten und meinen kleinen Sohn so zu fördern. Wir hatten wenig Geld. Doch ich fand immer einen Ausweg für meine Kinder, damit sie mit den anderen wohlhabenden Kindern aus unserer Umgebung einigermaßen mithalten konnten.

So kam es schließlich zu einem Sponsoring für eine Dame, die ins Haus kam und mit meinen Kinder Englisch sprach, bis der Jüngste endlich in die Schule durfte. Diese Frau war es die einige Jahre später mein Leben rettete, weil sie erkannte was ich nicht aussprach.

Einige Zeit später fiel mir auf, dass mich nicht mehr ständig demütigte und anschrie. Es stellte sich heraus, dass er eine Geliebte hatte. Er verlangte, dass sie bei uns im Haus wohnen solle. Er behauptete, ich würde dem Glück der Familie im Wege stehen, weil ich das ablehnte. Er quälte mich damit, dass er mir beschrieb, wie großartig der Sex mit der Geliebten sei und sparte dabei nicht mit Details. Ich war so dermaßen geschockt und angeekelt, dass ich 6 Monate nichts mehr essen konnte. Als ich ihn inständig bat, mich nicht zu verlassen, begann er, mich jede Nacht zu … benutzen. Die Bilder von der Geliebten verfolgten mich innerlich so sehr, dass ich begann, sie zu imitieren.

Ich wurde dünner und dünner bis die Englisch-Dame unserem Hausarzt Bescheid sagte. Der gab mir ein starkes Antidepressivum und beantragte eine Einweisung in eine Klinik, wegen Anpassungsstörung und Trauma.

Mir war alles egal! Ich wollte, dass mein Leben zu Ende geht. Er ging weiter fremd, u.a. mit Unterstützung unserer „Freunde“. Danach kam er mittags nach Hause und machte Sex mit mir. (Morgens, Mittags, Abends). Ich konnte immer noch nichts essen. Auch nachts kam er angetrunken zu mir und dominierte mich voller Wut mit Sex. Ich wohnte inzwischen in einer leeren Wohnung über meiner Familie und kam nur tagsüber nach unten, um Essen zu kochen und Wäsche zu waschen. Er sagte, ich würde stinken und mit meinem ständigen Weinen alle nerven. Meine Kinder fanden es toll, dass ich von den Antidepressiva so benebelt war, dass ich alles schleifen ließ. Nur mein Jüngster kam ein mal mit einem Tablet zu meinem Bett und sagte, ich müsse was essen. Ich wäre doch eine so liebe Frau. Er verstünde nicht, warum Papa sowas macht (Kindern mit einem IQ von über 145 kann man nix vormachen!!)

Wir waren dann bei mehreren Paarterapien. Mein Mann weigerte sich, sich bei mir zu entschuldigen, und war auch sonst recht fies. Der letzte Therapeut sagte mir ganz leise zum Abschied : „Miriam, er behandelt dich wie Dreck.“

Als ich bei einem Gewicht von 45kg ankam, hatte ich endlich den Platz in der Klinik. Inzwischen hatte ich schon drei Nervenzusammenbrüche hinter mir.

Nun kam ich in die Klinik. Auf einmal war gar nicht alles dumm, was ich sagte. Was für eine neue Erfahrung! In der Therapie sagte ich zum ersten mal (gaaanz gaaanz leise, mit gesenktem kopf): „Ich fühle mich so missbraucht.“ Die Therapeutin  bestätigte mir: „Ja, das bist du auch.“ Keiner zweifelte mehr an mir und sagte mir wie nett und souverän mein Mann ist.

Ab und zu rief er mich an und beschimpfte mich. Dadurch wurde jeder Schritt nach vorn zunichte gemacht. Der Arzt erteilte mir dann ein Verbot, mit ihm zu sprechen. Da ging mir ein erstes kleines Lichtlein auf … und es wuchs und wuchs von Tag zu Tag, und es wächst noch!!!!

Ich hatte zum Glück sehr nette, gebildete Leute für gemeinsame Unternehmungen gefunden, die mir in vielen Gesprächen das Gefühl haben, dass ich nicht doof bin sondern – im Gegenteil – gebildet und eine angenehme Gesellschaft für sie. Das war mir neu.

Und plötzlich wusste ich: Wenn ich jetzt nicht gehe, sondern zu ihm zurückkehre, schaffe ich den Absprung nie und werde bald tot sein.

Meine Tochter war genau in der Klassenstufe wo in B. das Gymnasium beginnt, und für meinen Jüngsten auf derselben Schule eine Hochbegabtenklasse begann.

Das wars! Mein Entschluss stand fest!

Ich musste zum Doc und hab ihm von meinem Plan erzählt. Ich musste den Aufenthalt abbrechen, da die Sommerferien begannen, und ich meine Kinder an der Schule anmelden musste. Nun musste ich nach Hause und es meinem Mann sagen. Mir war es egal, ob er mich verprügeln würde oder nicht. (Es war ja schon vorher dazu gekommen).

Zu welchem Zeitpunkt hast Du die Gewalt klar erkennen können?

Einmal knallte ich vor Wut so sehr die Tür, dass diese kaputt ging. Als mein Mann fragte „Wer war das?“, sagte mein jüngster Sohn schnell „Ich“, weil er wusste, IHN würde er nicht schlagen. Mein Sohn wollte mich schützen, mit 9 Jahren. Das öffnete mir so sehr die Augen …. Was ich da meinen Kindern zumutete ,weil ich so lange gezögert habe zu gehen… Da war der allerletzte Zweifel weg. Zu diesem Zeitpunkt waren wir 16 Jahre zusammen.

Wie hast Du die Trennung vollzogen?

Ich fand eine sehr schöne Wohnung in der Nähe der Schule in B.. Ich brachte die Kinder zu Freunden und packte unsere Sachen. Der Vater half nicht. Ich wolle ja gehen und nicht er. Er ging mit seiner Freundin essen. Und nachts kam er angetrunken an mein Bett.

Zum Glück kamen Leute vom Hochbegabtenverein, die ich vorher unterstützte. Sie halfen mir, kümmerten sich darum, dass ich das Essen nicht vergaß und bestätigen mich. Nach drei Tagen hatte ich einen Umzugswagen, einen Wohnberechtigungsschein für die neue Stadt, meine Kinder an der Schule angemeldet und eine tolle Wohnung im Grünen.

Nach 6 Wochen fragte mich mein Mann, ob er nicht wieder zu mir könne. In zwei Jahren, wenn es mir wieder besser geht. Solange könne er es ja mit der „anderen“ weiter aushalten.

Da sagte ich ihm: „Sieh mich an! Hab ich sowas wie Dich nötig? Nein!“ Ich war so schön wie nie zuvor in meinem Leben. Und ich war früher mit 20 schon ein ziemlicher Hingucker! Ich merkte, dass er mit der Neuen genau so umging wie mit mir früher. Er wird sich nie, nie, nie bessern.

Wie ging es Dir in der Zeit nach der Trennung?

Ich hatte noch einmal aufgehört zu essen und wurde dadurch krank. Als meine Kinder nach Berlin kamen, gingen wir jeden Abend indisch essen. Zwei Gerichte für vier. So musste ich nicht unter Übelkeit kochen, und meine Kinder konnten gemütlich essen, was sie wollten.

Im Restaurant war eine fröhliche Stimmung ,und alle waren nett zu uns. Es lief Bollywood-Musik und die gefiel mir so gut, dass ich mir eine CD aufnehmen ließ. Und dann hörte ich von einem indischen Fest in der Nachbarstadt. Ich bin mit meinem Jüngsten dorthin gefahren (alle anderen waren auf Klassenfahrt). Es wurde ein indisches Tanztheater aufgeführt. Mein Sohn sagte: „Mama, DAS ist doch was für dich!“ Er suchte die Adresse raus und fuhr mit mir zur Tanzschule.

Ich habe dort angefangen zu tanzen und war so glücklich. Ich vergaß die Welt um mich. Es kam dann zu einer ersten Aufführung. Ich wollte nur hinten tanzen, weil ich mich dick und alt fühlte (40 war ich da). Die Mädels zogen mir aber das indische Tanzkostüm an, einen goldenen Gürtel dazu, den Stirnschmuck … und dann das zarte Tuch über den Kopf. Ich drehte mich um, sah in den Spiegel und begann zu weinen: Ich war richtig schön!

Ich tanze noch heute dort. Zwar mag ich noch immer nicht nach vorne. Aber ich bin schon viel, viel selbstbewusster geworden. Das Tanzen hat Struktur in mein Leben gebracht. Wir haben oft gemeinsam gegessen und viel gelacht. Durch das Tanzen, durch die vielen Farben der Kostüme, das Herstellen der Bühnenbilder und so weiter konnte ich endlich meinem Traum der Bühnenvisagistin nachgehen.

Das alles ließ mich auferstehen wie ein Phönix aus der Asche!

Hast Du Dich nach Deinem Expartner gesehnt und vielleicht sogar einen Neuanfang erwogen oder bist sogar zurückgekehrt?
Oder hast Du viel mit Gefühlen wie Wut, Verzweiflung, Eifersucht etc. kämpfen müssen?
Wie bist Du mit diesen Gefühlen und Situationen umgegangen? Wie konntest Du Dich wieder lösen?

Ohhh, ich war wütend, verzweifelt und wüüüütend!!!! Das schlimmste war, dass mir kein Anwalt so recht helfen konnte.

Ich hab getanzt, getanzt, getanzt bis ich SOO gut war, dass ich zum indischen Neujahrsfest als Tänzerin gebucht wurde. Da hab ich mir einen süssen Inder angelacht. Er hat mir geholfen, wenn ich nachts geweint habe im Schlaf, wenn ich reden musste, wenn ich Ruhe brauchte, wenn ich vergaß zu essen. Er bewunderte mich, wenn ich bei Aufführungen tanzte und ermunterte mich, mich zu schminken und mich schön zu machen. Er machte mir auch klar, dass ich mir mal etwas für mich – und nicht immer für die Kinder – kaufen sollte. Ich konnte ihm meine Welt zeigen und er mir seine.

Seit 6 Jahren kommt außerdem jeden Tag eine Katze zu mir nach Hause. Immer wenn ich ganz besonders traurig bin, sucht sie meine Nähe. Sie ist mein Seelenretter.

Leider bin ich heute noch manchmal verzweifelt. Aber ich weiss, dass dieses Gefühl kommt und geht.

Wie fühlst Du Dich heute?

Zufrieden bin ich noch nicht. Ich möchte gern meinen Vermögensausgleich haben(nach 9jahren…). Ich habe immer noch Angst, wenn jemand streng mit mir spricht. Aber das gehört jetzt zu mir. Ich kann Leute jetzt gut verstehen, wenn sie mal depressiv sind und ihnen beiseite stehen. Und ich halte mich von Leuten fern, die mich ständig kritisieren oder respektlos zu mir sind. Ich versuche nicht mehr auf Biegen und Brechen jedem zu gefallen.

Was sind Deine wichtigsten Tipps für Frauen, die in einer ähnlichen Situation sind?
Was brauchen Frauen aus Deiner Sicht, um sich aus einer Gewaltbeziehung zu befreien und was hilft ihnen dabei?

Niemand kann dir sagen wann der richtige Zeitpunkt für dich ist zu gehen. DU WEISST ES EINFACH!!!

Bei der einen ist es früher , bei der anderen später.

Und wenn dein Gefühl dir sagt „da stimmt was nicht“, lass dich nicht bequatschen! Dann stimmt da auch was nicht. Vertrau deinem Gefühl.

Finde etwas, was Dich glücklich macht: Malen, Musik, Handarbeit, Tanzen, Sport … irgendetwas. Wenn du es allein nicht schaffst, weil du am Boden bist, geh zu deinem Arzt und sag ehrlich, was los ist.

Vielen Dank, Rani!!!

Dieses Interview ist Teil einer Serie. Ich befrage Frauen, die Gewalt in einer Partnerschaft erlebt haben und bitte sie darum, ihre Erfahrungen und Bewältigungsstrategien zu schildern. Die Interviews sollen anderen Frauen Mut machen, die in einer ähnlichen Situation sind. Außerdem sollen sie aufklären, wie eine solche Beziehung überhaupt zustande kommen kann und wie sie sich entwickelt.

Jede vierte Frau erlebt häusliche Gewalt.
Partnerschaftsgewalt ist keine Privatsache.
Gewalt geht jeden etwas an.

Wenn Du auch Deine Geschichte erzählen möchtest, um anderen betroffenen Frauen zu helfen, wende Dich über mein Kontaktformular an mich. Eine Veröffentlichung kann gern auch anonym erfolgen. DANKE!


Bild: Pixabay, AlexVan

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