Liebe Stiefmutter I have a dream

InAlleinerziehend, Familienbild, Kinder, Partnerschaft, Patchwork, Trennung
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Liebe Stiefmutter,

vor vielen Jahren habe ich Dir schon einmal einen Brief geschrieben, aber nicht abgeschickt. Mein Ex sagte damals, Du hältst einen solchen Brief nicht aus und ich habe Rücksicht genommen – wie so oft. Nun erfahre ich, dass Du scheinbar sehr unter mir zu leiden hast und ich möchte gern noch einmal einen Versuch machen, Dir meine Sicht der Dinge zu vermitteln.

Erst einmal vorab: ob wir das wollen, oder nicht. Wir werden eine sehr lange Zeit unseres Lebens direkt oder indirekt miteinander zu tun haben. Das war mein ursprüngliches Motiv, Dir zu schreiben. Inzwischen habe ich nachhaltig verstanden, dass Du keinen Kontakt möchtest. Ich muss also lernen zu akzeptieren, dass es nie eine echte Basis für uns geben wird. Ich finde das sehr schade.

Dennoch schreibe ich hier für Dich, für mich und für alle anderen Frauen, die in dieser Situation sind. Ich habe immer noch Hoffnung, dass es Frauen gibt, die aufgrund von Frauensolidarität anders miteinander umgehen können, die sich über Mommy-Wars um einen Mann und um die Kinder erheben können. Vielleicht ist das naiv. Aber einen Versuch ist es wert.

Du weißt es vielleicht nicht, aber ich kenne viele Situationen. Ich kenne das Leben als Stieftochter. Ich kenne das Leben als Ex. Und ich kenne das Leben als Stiefmutter. Alle Rollen sind nicht einfach. Es ist ganz leicht aus einer dieser Rollen heraus sehr wütend und verbittert zu werden, denn in jeder Rolle muss man auf vieles verzichten, das in „normalen“ Beziehungen und Familien selbstverständlich ist. Es ist ein hohes Maß an Toleranz nötig, um einigermaßen zurechtzukommen. Man muss in jeder dieser Rollen viele seelische Schmerzen aushalten können. Man muss Abstand nehmen können von eigenen Bedürfnissen für das Wohl aller und vor allem für das Wohl der beteiligten Kinder.

Es ist nicht leicht, wenn sich Deine Eltern nicht mehr verstehen und schlecht übereinander reden.

Es ist nicht leicht, wenn Du als Kind vermitteln musst.

Es ist nicht leicht, den neuen Partner Deiner Mutter nett zu finden, wenn da noch Dein eigener trauriger Vater im Hintergrund ist.

Es ist nicht leicht, zwischen zwei verschiedenen Haushalten zu pendeln.

Es ist nicht leicht, wenn Du ein sehr kleines Kind hast, das Du für einen längeren Zeitraum in eine Umgebung und zu einer Person geben musst, die Du überhaupt nicht kennst und die den Kontakt verweigert.

Es ist nicht leicht, ein weinendes Kind zu überzeugen, dass es schön beim Papa ist und dass es Dich jetzt endlich mal loslassen soll, während es die ganze Zeit beteuert, dass es nicht will, dass Du gehst. So eine Situation, wenn Du dann die Arme von Dir streifst und dem Vater das Kind in den Arm drückst, bricht Dir fast das Herz.

Es ist nicht leicht zu akzeptieren, dass der Vater Deines Kindes sich nicht an Kosten für das Kind beteiligen will und Unterhalt verweigert.

Es ist nicht leicht, Abstand von Deiner Eifersucht zu nehmen, wenn das Kind jede Woche zum Vater und der neuen Partnerin geht wegen der der Vater Dich und die Kinder verlassen hat und denen es vielleicht sogar finanziell viel besser geht als Dir.

Es ist nicht leicht, den neuen Partner jedes Wochenende und vielleicht noch in der Woche mit seinen Kindern zu teilen.

Es ist nicht leicht, auf einmal Mutter von vier Kindern zu sein, die ALLE etwas von Dir wollen, während der Vater Zeitung liest.

Es ist nicht leicht, damit zu leben, dass Dein Partner jeden Monat einen Teil seines Lohns für die Kinder gibt, auch wenn Du weißt, dass das richtig ist.

Es ist nicht leicht, damit zu leben, dass ein Großteil Deines Lebens – Dein Wohnort, Deine Familienplanung etc. – von einer anderen Person abhängig ist – der Ex.

Ja, da werden jetzt viele kommen, die sagen „selbst Schuld“. Warum lässt Du Dich auch auf einen Mann ein, der schon Kinder hat? Warum trennst Du Dich vom Vater Deiner Kinder? Ja, ich frage mich das auch oft. Ich hätte es auch gern anders gehabt. Es wäre sicher leichter gewesen und ich könnte mir leichter im Spiegel zunicken und sagen „alles richtig gemacht!“ So ist es aber nicht. Ich habe viele Fehler gemacht. Ich habe an das Unmögliche geglaubt. Ich bin der Liebe gefolgt. Dabei habe ich mir eine Menge Narben zugezogen.

Vielleicht habe ich aber auch all diese Fehler gemacht und all das erlebt, um das hier heute zu schreiben. Keine Ahnung. Ganz tief in mir drin weiß ich, dass es nicht sinnvoll ist, dass wir – Du und ich – uns wegen eines Mannes so verfeinden. Wir – Du und ich – sind viel mehr als das.

Wir könnten gemeinsam dafür sorgen, dass es den Kindern – ob eigene oder fremde – möglichst gut geht.

Wir könnten es vermeiden, schlecht übereinander zu reden – ob offen oder verdeckt.

Wir könnten den Vater daran erinnern, dass ER gefragt ist, für seine Kinder zu sorgen und sich um sie zu kümmern, wenn sie bei ihm sind.

Wir könnten dem Vater vermitteln, dass er auch finanziell zuständig ist für seine Kinder und dass es ganz klar ist, dass er Unterhalt zahlt, wenn die Kinder nicht hauptsächlich bei ihm leben. Alles andere fänden wir furchtbar und würden es nicht akzeptieren.

Wir könnten darauf einwirken, dass wirklich auf das Wohl der Kinder geschaut wird, dass z.B. rigorose Umgangsregeln zugunsten der Kinder gelockert und aufgeweicht werden, dass mehr Zeit für Kinder und Vater ermöglicht werden, oder auch, dass Kinder, die einfach wieder zur Mutter wollen auch gelassen werden, wenn das möglich ist.

Wir könnten unseren Kindern gönnen, dass sie viele Menschen lieben dürfen, auch wenn wir selbst eifersüchtig auf diese Menschen sind.

Wir könnten für Nachsicht, Rücksicht und Frieden werben, wenn es nach der Trennung zu einem Gerichts-Krieg gekommen ist.

Wir könnten uns für einen menschlichen Umgang miteinander einsetzen.

Wir könnten uns weigern, gegeneinander ausgespielt zu werden von und wegen einem Mann.

Wir könnten versuchen, uns einzufühlen in die jeweils andere Position und Rolle und rücksichtsvoll und nachsichtig miteinander umgehen.

Wir könnten vielleicht sogar irgendwann eine Kaffee miteinander trinken und uns vielleicht sogar anfreunden. Zumindest könnten wir uns einfach akzeptieren lernen.

Wie schön wäre das für uns und unsere Kinder.

Stattdessen lassen wir uns in sehr einseitige Rollen und Positionen drängen und werden zu bitteren Feindinnen. Wir kämpfen gegen etwas, das wir eigentlich nicht bekämpfen können. Wir kämpfen gegen die Realität. Meine Kinder werden nie ganz Deine Kinder sein. Dein Mann hat eine Vergangenheit mit mir. Dadurch sind wir für immer miteinander verbunden.

Ich verstehe Dich und wie schwierig Du es findest mit mir. Bitte verstehe Du mich auch. Versuche es wenigstens. Wir könnten vieles bewegen, wenn wir unsere Kräfte vereinen könnten, statt gegeneinander zu kämpfen.

Danke!


Ein Nachtrag auf diesen Text:

Am heutigen Tag ging eine Diskussion durch’s Netz über den Spiegeltitel „Sind Männer die besseren Väter?“ Mir ist durch die Beschäftigung mit einigen wichtigen Blogposts zu diesem Thema, u.a. von Jochen König, Caspar Mierau und dasnuf, klar geworden, dass mir selbst in Teilen des obenstehenden Artikels ein Denkfehler unterlaufen ist.

In einigen Teilen wünsche ich, dass Mütter und Stiefmütter gemeinsam den Vater überzeugen sollten, sich mehr um seine Kinder zu kümmern und Unterhalt für seine Kinder zu zahlen. Genau das impliziert aber, dass wir als Frauen Überzeugungsarbeit am Mann zu leisten hätten, damit er endlich seine Verantwortung als Vater erkennt und übernimmt. Ein falscher Weg. Stattdessen wäre es viel wichtiger, dass wir uns weigern Aufgaben zu übernehmen, die die Aufgaben des Vaters wären, wenn er wirklich Interesse an seinen Kindern hat. Es ist nicht unsere Aufgabe, Väter zu überzeugen. Es ist nicht unsere Aufgabe, für ein Interesse zu kämpfen, dass vielleicht gar nicht da ist. Unsere Aufgabe ist, für uns selbst zu sorgen und dadurch selbst für einen guten Umgang mit unseren Kindern oder Stiefkindern zu sorgen – in dem Umfang und in der Art und Weise wie wir es selbst für richtig halten und wünschen. Es ist auch nicht unsere Aufgabe, den Kindern eine heile Welt vorzugaukeln und ein schmuckes und bekümmerndes Deckmäntelchen unsererseits über das Desinteresse des Vaters zu legen. Wir können den Vater nicht ersetzen. Punkt.

Ich halte es u.a. für äußerst wichtig, dass der Vater für seine Kinder wirklich da ist und sich um sie kümmert, wenn sie Zeit bei ihm verbringen. Wenn z.B. die Stiefmutter eine Ersatzmutterfunktion übernimmt und der Vater sich dadurch aus seiner Verantwortung stehlen kann, indem diese Zeit für ihn einfach Freizeit mit „Kinder-Hintergrundrauschen“ ist, halte ich das nicht für den richtigen Weg.

Es war mir wichtig, dies noch einmal sehr deutlich herauszustellen.


Bild: Pixabay, susisorglos089

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