Mutterbilder Frauen in der Druckkammer

InBurnout, Familienbild, Feminismus, Muttermythos, Vereinbarkeit
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In den letzten Tagen habe ich wieder so einiges gelesen, gesehen und gehört, das mich nachdenklich macht und teilweise auch verärgert. Meinem Empfinden nach werden Frauen in ihrer Rolle als Mutter nach wie vor massiv unter Druck gesetzt. Und das nicht nur von der Gesellschaft. Frauen setzen sich insbesondere gegenseitig unter Druck. Ich habe ein riesengroßes Problem mit dem Begriff der angeblichen Natürlichkeit und Mütterlichkeit, den ich aus allen möglichen Ecken herauszulesen meine. Gleichzeitig habe ich ein Problem damit, wenn Frauen in eine Rolle gedrängt werden, die sie zu Allround-Funktions-Maschinen degradieren, die Familie, Karriere, Privatleben und Haushalt super zu koordinieren haben. Mein Gefühl ist, dass dabei so einiges falsch läuft.

Mir ist da zu viel Schwarz-Weiß und zu wenig lebenswertes und menschliches Bunt.

Frauen stopfen sich in Schablonen oder werden hineingestopft, sobald sie Mütter werden. Eine Schablone zu haben ist ja auch schön. Es ist angenehm, wenn da eine Ordnung ist, der man folgen kann. Diese Ungewissheit und Unsicherheit bei gleichzeitig hoher Verantwortung, in die das Muttersein einen hineinschubst, ist besser auszuhalten, wenn da eine Richtschnur ist, an der man sich festhalten kann. Inzwischen gibt es allerdings sehr viele und sich widersprechende Richtschnüre im Angebot. So viele, dass schon allein die Auswahl der Richtschnur erneute Unsicherheiten erzeugen kann. Am Ende verstrickt man sich auf der Suche nach Orientierung und geht sich selbst dabei verloren.

Der Fokus vieler Richtschnüre liegt entweder auf dem Wohlergehen des Kindes oder aber auf einem reibungslosen Funktionieren á la Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Frauen werden auf ihre Funktion reduziert: entweder auf die Funktion als hingebungsvolle Mutter, oder auf die Funktion der Karrierefrau mit Familienanhang. Ersteres wird gern als natürliche Rolle der Frau verkauft, zweiteres nennt sich gern Selbstverwirklichung und Feminismus. In der Mitte zwischen diesen beiden Extremen steht die Frau von heute und wird in dieser Position fast zerrissen.

Es fällt auf, dass in all diesen Debatten selten gefragt wird, wie es den Frauen selbst damit geht.

Angeblich stehen viele Mütter – nicht nur Alleinerziehende – kurz vor dem Burnout. Alleinerziehende erleben die extremen Anforderungen an Mütter bei gleichzeitig mangelhafter bis nicht vorhandener Unterstützung besonders deutlich. Wie in einem Brennglas wird hier die chronische Überforderung sichtbar, die schon Frauen in „normalen“ Familiensituationen betrifft. Die Kinder sollen im Familienbett schlafen und „unerzogen“ aufwachsen. Gleichzeitig soll die Frau morgens um 9 fit und munter bei ihrer Arbeitsstelle erscheinen. Sie soll Karriere machen und ihre erlernten Fähigkeiten nicht zum Fenster hinauswerfen. Gleichzeitig soll sie den Kindern ein gesundes Mittagessen oder zumindest Abendessen bereiten und für abwechslungsreiches Freizeitprogramm sorgen. Die Förderung der Kinder darf natürlich auch nicht zu kurz kommen und sie müssen raus in die Natur – am besten mit Mama im Zelt. Ob Mama einen Bandscheibenvorfall hat oder gar keine Lust auf Natur hat … egal.  Es ist ja „natürlich“ für Menschen draußen zu sein. Es ist natürlich, Kinder ständig zu tragen. Es ist natürlich, lange zu stillen. Das bedeutet gleichzeitig: wenn Frauen das alles nicht machen oder nicht wollen oder nicht können, handeln sie widernatürlich. Wenn Frauen wiederum bewusst ihre beruflichen Aktivitäten reduzieren, weil sie mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen oder weil sie auch Zeit für sich (!!!) brauchen, kann ihnen das als Verschwendung ihrer Talente und Fähigkeiten verkauft werden. Sie werden als Heimchen am Herd belächelt.

Ich empfinde für mich selbst weder die natürliche Mütterlichkeit noch die starke Karrierefrau als gesund. Ich fühle mich nicht wohl darin, meine Kinder artgerecht oder unerzogen oder attached zu erziehen. Es geht mir nicht gut damit. Es geht mir auch nicht gut damit, meinen gesamten Tagesablauf von meinen beruflichen Tätigkeiten bestimmen zu lassen. Ich brauche Freiräume für meine Kinder. Aber was ich besonders in den letzten Monaten gemerkt habe: Ich brauche Freiräume für mich selbst. Die Rolle der Mutter erfüllt mich nicht so, dass ich darin aufgehe und nur das als meine Hauptbeschäftigung sehen will. Ich vermisse mich selbst. Ich vermisse mich als Frau mit vielen Interessen. Auch die Selbstverwirklichung in Form von beruflicher Karriere sehe ich inzwischen immer kritischer. Ich möchte mich nicht vollständig für meine beruflichen Tätigkeiten aufopfern. Ich mag meine beruflichen Aktivitäten. Ich arbeite gern. Aber ich lese auch gern, ich faulenze gern, ich schaue gern Filme, ich schreibe gern, ich tausche mich gern aus – ob online oder offline.

Früher habe ich immer gedacht, dass ich mich einer Linie verschreiben müsste, um authentisch und vor allem konsequent zu leben. Heute weiß ich für mich, dass ein Leben mit meinen Widersprüchen viel lebenswerter und gesünder ist. Ich möchte mich keiner Linie mehr unterordnen. Ich möchte keiner Richtschnur mehr folgen müssen, mir keine Ordnung oder Schablone mehr auferlegen. Stattdessen erlaube ich mir mehr und mehr, inkonsequent und widersprüchlich zu sein. Was meine Art von Mütterlichkeit ist, bestimme ich selbst. Und vor allem: es ist okay, wenn sich das verändert und entwickelt. Es ist nichts festes. Es ist ein Entwicklungsprozess. Ich möchte mich keiner Natürlichkeit unterordnen. Ich möchte mich auch keinem Frauenbild unterordnen, das mich nur als funktionierendes Zahnrad in einem Wirtschaftskreislauf sieht. Ich bin nicht eine. Ich bin viele. Und ich darf mich verändern und entwickeln. Ich darf vor allem auch meine Bedürfnisse sehen und leben und meinen Kindern und anderen Menschen in meinem Lebensumfeld abverlangen, dass sie diese Bedürfnisse respektieren.

Ich glaube inzwischen, die vielen Sorgen und Gedanken, die sich Mütter über ihre Kinder, ihren Job und ihr Leben machen, diese Gedanken darüber, was alles falsch läuft, was sie besser machen könnten, wo sie ihren Kindern gerechter werden könnten, wo sie mal wieder zu laut und ungeduldig waren und auch, wo sie zu wenig in ihrem Job machen, wie schlimm ihr Haushalt mal wieder aussieht, wie „hässlich“ ihr Körper inzwischen ist, dass sie viel zu lange nichts Gesundes gekocht haben, dass sie keine Zeit zum Basteln finden und für Sport schon gar nicht etc. pp. – all diese Gedanken rauben unheimlich viel Kraft. Wenn all diese belastenden Gedanken weniger Raum hätten, all diese Vorgaben und Vorstellungen, wie eine gute Mutter und gute Frau zu sein hat, glaube ich, dass viele Frauen weniger erschöpft wären. Ich finde es daher wichtig, diese Vorstellungen und Vorgaben in Frage zu stellen – insbesondere das Bild der „natürlichen Mütterlichkeit“ und den Gegenpol der „starken Frau“. All diese Bilder sind Korsetts, die uns die Luft zum Atmen nehmen.

Texte und Filme, die mich zu diesem Text inspirierten:


Bild: Pixabay, dimitrisvetsikas1969

2 Kommentar

  1. „Ich vermisse mich selbst. Ich vermisse mich als Frau mit vielen Interessen.“ Ja, das ist es wohl, was am meisten untergeht, gerade als Alleinerziehende. Vielen Dank für die klugen Gedanken, für eine interessante Linksammlung und fürs Verlinken.

  2. Das hast du sehr gut ausgedrückt. Ich habe lange Jahre versucht, Mutter, Ehefrau, Geschäftsfrau/Arbeitnehmerin und irgendwo auch noch ich zu sein. Es geht nicht. Die Ehe hat sich irgendwann erledigt, aber dafür kam ein Kind mit größeren Bedürfnissen. Und jetzt suche ich nach meinem/unserem Weg, egal was die Gesellschaft davon hält. Der habe ich genug gegeben. Eine Bitte, Mutterschaft darf kein Zwang werden, aber wenn eine Frau sich für Kinder entschieden hat, dann sollte es ihr freistehen diesem Beruf auch nach zu gehen. Und für Mütter mache ich da durchaus mehr Natürlichkeit aus als für Väter.

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