Eine für alle Über Treue und Loyalität

InBeziehungsgewalt, Familienbild, Muttermythos, Partnerschaft, Trennung
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Treue und Loyalität sind hohe Werte in unserer Gesellschaft. In einer Beziehung treu und loyal zu seinem Partner zu sein, ist für viele Menschen eine wichtige Voraussetzung für Vertrauen. Alles für die Gemeinschaft zu geben, wird als besonders ehrenwert angesehen.

„… bis dass der Tod Euch scheidet.“ schwört man sich bei einer kirchlichen Heirat.

Ich war nie verheiratet und habe nur als sehr kleines Kind an das romantische Ideal der lebenslangen Liebe geglaubt. Meine Lebenserfahrungen haben mir bestätigt, dass ein Vertrag auf der Basis von romantischer Liebe mit Vorsicht zu genießen ist. Ich bin froh, dass ich nie eine Scheidung durchleben musste, außer die meiner Eltern. Dennoch habe ich sehr früh gelernt, dass es wichtig ist, innerhalb einer Familie füreinander einzustehen, die Familie zu schützen, mich selbst zurückzustellen für die Bedürfnisse der Gemeinschaft.

Frauen meiner Generation bekamen schon sehr früh vermittelt, dass ein Mädchen seine eigenen Bedürfnisse nicht in den Vordergrund stellt, dass forderndes und egoistisches Verhalten unweiblich ist und dass es dagegen weiblich ist, sich um andere zu kümmern, sie zu pflegen und sich für andere einzusetzen und notfalls aufzuopfern. Als Schulkind wurde ich besonders gelobt für meine zurückhaltende, soziale und mäßigende Art. Meine Schwester, die sich eher durchsetzte, aneckte und Konflikte nicht mied, wurde dagegen häufig zurechtgewiesen und erfuhr Ablehnung seitens der Lehrer.

Ist ja schön und gut mit diesen Idealen, denkst Du Dir vielleicht gerade. Es ist ja auch erstrebenswert, sich einzuordnen. Aber: eine Haltung, die das Wohl der anderen vor das eigene Wohl stellt und die Loyalität hochhält, kann auch Missbrauch fördern. Im Zusammenhang mit Beziehungsgewalt können Loyalität und Treue entscheidende Fallstricke sein. Auch Durchhaltevermögen ist hinderlich.

Warum?

Eine ausgeprägte Loyalität und Treue kann dazu führen, dass Du Deine eigenen Bedürfnisse missachtest, dass Du Dich selbst zugunsten Deiner Partnerschaft und Familie zurückstellst. Wenn dann langsam und schleichend Gewalt in Deine Beziehung Einzug hält, sagst Du Dir: „Nimm das nicht so eng.“ Oder Du sagst Dir „Ich halte das aus für unsere Beziehung und für unsere Familie. Es ist ja noch nicht so schlimm und es geht bestimmt wieder vorbei.“ Im weiteren Verlauf kann Dich dann Deine Loyalität Deinem Partner gegenüber dazu bringen, Dir keine Hilfe zu holen. Du schützt Deinen Partner und Deine Familie. Du setzt Dich ein für die scheinbare Harmonie, für den guten Ruf. Du stellst Dich selbst als Opfer zur Verfügung, um die vermeintlich heile Welt zu erhalten. Du möchtest Deinen Partner nicht als Täter sehen und als solchen behandeln und anzeigen. Deine Loyalität und Treue sind so stark ausgeprägt, dass Du Dich selbst verlierst. Manche Opfer häuslicher Gewalt zahlen diese Treue und Loyalität dann tatsächlich mit dem Tod.

Um Dich lösen zu können, kann es wichtig sein, Deine verinnerlichten Muster von Loyalität und Treue gründlich zu hinterfragen.

Loyalität und Treue sollte da aufhören, wo ein Mensch das Vertrauen des anderen missbraucht. Loyal und treu solltest Du nur den Menschen gegenüber sein, die Dich respektvoll und anständig behandeln. Und an allererster Stelle sollte die Loyalität und Treue Dir selbst gegenüber stehen. Du solltest Dir so wichtig und wertvoll werden, dass niemand anders Deine Grenzen überschreiten darf. Du selbst, Deine Bedürfnisse und Deine Grenzen sollten für Dich an allererster Stelle stehen. Damit ist keine egozentrische Haltung gemeint. Es meint eben gerade nicht, rücksichtslos zu werden und andere zu übergehen. Es kann aber schon heißen, unbequem zu werden und anzuecken. Das ist für einige – auch für mich – mit Angst verbunden. Aber genau dahin geht der Weg.

Es geht darum, ein Gefühl für die eigenen Grenzen zu entwickeln und diese auch zu benennen und durchzusetzen. Es geht darum, sich notfalls von Menschen und Lebenssituationen zu lösen, die Dir nicht gut tun. Es geht darum, Deinen eigenen Wert zu erkennen und zu verinnerlichen. Es geht darum, für sich selbst einzustehen.

Da viele von uns das ganz anders gelernt haben, kann es viel Übung erfordern, diese Muster zu verändern. Es kann Angst machen, für sich selbst einzustehen und sich nicht mehr um jeden Preis ein- und unterzuordnen. Es ist vor allem auch wichtig, mehr Sensibilität für die eigenen Grenzen zu entwickeln und überhaupt erst einmal ein Gespür dafür zu entwickeln. Das kannst Du z.B. üben, indem Du mehr auf Dein Bauchgefühl und Deine Körperreaktionen insgesamt hörst. Du kannst es auch verinnerlichen, indem Du Dich selbst als kleines Kind visualisierst, das Schutz, Wertschätzung und Verständnis verdient hat. Deine ritterliche Haltung der Loyalität wird besonders von Deinem inneren Kind benötigt. Und es geht auch darum, Dir immer wieder klar zu machen, dass Du die Hauptrolle in Deinem Leben spielst und dass Du voll und ganz für Dich selbst eintreten und Dein ganz eigenes Leben nach Deinen Maßstäben gestalten darfst.

All die Kraft und Energie, die Du bisher nach außen gerichtet hast, darfst Du nach innen richten zu Dir selbst und für Dich selbst Ritter, treuer Gefährte und verständnisvoller Partner sein. Das ist eine wichtige Grundlage für gesunde Beziehungen.


Bild: Pixabay, PaelmerPhotoArts

7 Kommentar

  1. Ich danke Dir so sehr für Deine Beiträge! Es hilft mir so sehr, zu erkennen, was ich 20 Jahre warum ertragen habe. Nicht, das ich das nicht gespürt habe, aber seine und die Anschuldigungen unseres Umkreises, die Nichts wussten. Die sich trotzdem zu Experten aufspielten, ohne zu wissen, wie anders dieser Mann Zuhause in unseren „sicheren“ 4 Wänden zu seinen 4 Kindern und vor allem zu mir war. Alles hat zu absoluten Fehlwahrnehmungen und zu tiefster Verzweiflung geführt. Ich leide noch jetzt, selbst ein Jahr später, immer noch so sehr unter diesen viel zu lange andauernden Peinigungen. Das schlimme ist, dass man selbst nicht versteht, warum das passiert! Ich war nie der böse Mensch, der einem ständig unterstellt wurde, es fühlte sich aber so an….. Das kann man leider erst erkennen, wenn der Dämon endlich nicht mehr vorhanden ist und man wieder sich selbst sein darf. Plötzlich hat man wieder viele Freunde/Bekannte, die einem das reflektieren.

    • Liebe Susanne,
      vielen Dank für Deinen Kommentar. Gut, dass Du Freunde hast, die Dir das gut reflektieren. Und dass Du noch leidest und Schwierigkeiten mit der Einordnung der Erlebnisse hast, ist ganz klar. Solche Erlebnisse sind so verwirrend und oft auch traumatisierend. Ich wünsche Dir alles, alles Gute!

  2. Wie heißt es: „Die Angst ist der Weg“ es ist der Weg, den wir dann gehen müssen auch wenn wir von anderen als “ schlechte oder böse “ Menschen verurteilt werden, weil wir unserem Gewissen folgen und nicht mehr hörig sind. Hier braucht man viel Kraft.

  3. Ich bin sehr froh, dass es diese Seite und auch ähnliche gibt. Es ist einfach unheimlich schwer, mit nicht Betroffenen darüber zu reden und die eigene Situation zu erklären. Wenn man selbst nicht, in so einer Situation steckt, denkt man ganz rational – anders aber, wenn man mittendrin ist.
    Ich habe es immer noch nicht ganz geschafft, ihn loszuwerden und es ist eine Qual… kann man diesen Menschen überhaupt ganz loswerden, wenn man ein gemeinsames Kind hat? Der Psychoterror verschiebt sich nur auf eine ganz andere Ebene – auf die des Kindes und das ist für mich unerträglich…

    • Liebe Judith,
      vielen Dank für Deinen Kommentar. Leider ist es bei einem gemeinsamen Kind sehr schwer, den Ex-Partner loszuwerden. Du wirst lernen müssen, einen gelassenen Umgang zu schaffen und Dich trotzdem zu distanzieren. Das geht am besten, wenn Du den direkten Kontakt weitestgehend reduzierst und Absprachen z.B. nur noch schriftlich zulässt (über Mail, SMS u.ä.). Wenn das Kind allerdings unter dem Umgang leidet, würde ich eine Familien- oder Frauenberatungsstelle aufsuchen, evtl. auch das Jugendamt. Dort kann man dann evtl. über einen begleiteten Umgang nachdenken. Es kann hilfreich sein, sich in gewisser Weise damit abzufinden, dass man immer mit dem Ex-Partner in irgendeiner Form Kontakt halten muss, aber dass man selbst bestimmen kann, wie dieser Kontakt gestaltet ist – also möglichst so, dass Du Dich selbst schützt.
      Herzliche Grüße!

      • Das mit dem Kontakt nach der Trennung ist, finde ich, noch einmal ein großes Thema. Wie geht es weiter, wie kann ich für mich bestmögliche Distanz wahren, wie wehre ich mich gegen seine geübten Übergriffe nach jahrelanger Übung auf seiner Seite. Er kennt genaustens die Punkte mit den er uns ja schon wehrlos machte. Ich fühle mich auch sehr alleine gelassen in diesem Punkt, denn ich habe bisher noch keine Möglichkeit gehabt eine andere zu werden,,ich bin immer noch genauso ohnmächtig gegenüber der Übergriffe. Vielleicht wäre das mal ein gutes Thema für hier? Ich habe das Glück, dass ich ins Gewaltschutzprogramm aufgenommen wurde und ihm auch das kein Umgangsrecht zugesprochen wurde. Dennoch habe ich Angst vor erneuten Gerichtsverhandlungen, denn er hat echte Züge von einem Storker, er wird niemals aufgeben. Ich kann Judith voll verstehen. Viel Glück und Durchhaltevermögen für Dich Judith!

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