„Tu es für die Kinder“ "Fixing the woman" nach einer Gewaltbeziehung

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Eine meiner „Lieblingsbeschäftigungen“ ist es, falsche Beratungsstrategien nach einer Trennung aus häuslicher Gewalt zu erkennen und zu benennen. Ich verlasse mich da ganz auf mein Bauchgefühl. Und wenn das komisch ist, denke ich darüber nach, warum. Gestern las ich so einen Satz von einer Familienberaterin, bei dem mir ganz schlecht wurde.

„Tu es, auch wenn es schwer ist. Du tust es fuer deine Kinder.“

Es ging darum, dass eine Frau sich Unterstützung holt, wenn sie bei der Kindesübergabe mit ihrem gewalttätigen Exmann zusammentrifft. Sich Unterstützung zu holen ist wichtig und gut. Den Fokus dabei in erster Linie auf die Kinder zu legen, halte ich allerdings für grundfalsch.

Warum ist der Fokus auf den Kindern falsch?

Wenn eine Frau sich aus einer missbräuchlichen Beziehung befreit, ist oberste Priorität, dass sie das für sich selbst tut und dass sie sich selbst und ihr Wohlergehen in den Fokus stellt. Für viele Frauen fühlt sich das nach Monaten und Jahren des Missbrauchs und Gaslightings fremd und falsch an. Viele dieser Frauen sind auf das Wohl der anderen gepolt, wie es generell in unserer Gesellschaft anerzogen und gerade von Müttern erwartet wird. Frauen opfern sich häufig in der Rolle als Mutter auf und vergessen oder übergehen ihre eigenen Bedürfnisse.

Genau diese innere Haltung der Aufopferung kann aber Missbrauch und Gewalt fördern.

Wenn der Fokus einer Mutter auf den Kindern steht und auf der Optimierung ihrer Mutterschaft, kann die Trennung aus einer destruktiven Beziehung besonders schwer sein.

Der Fokus auf den Kindern kann in der Beziehung halten. Denn:

  • Das Argument, dass sie mit einer Trennung den Kindern schadet, weil sie ihnen den Vater entzieht, hält viele Frauen jahrelang in der Beziehung.
  • Die Drohung oder Wahrscheinlichkeit, dass der Vater nach einer Trennung über Jugendamt oder Familiengericht weiter Krieg mit der Mutter um die Kinder führt, hält ebenfalls in der Beziehung. Die Sorge ist leider berechtigt.
  • Auch die Sorge, dass der Vater nach einer Trennung mit den Kindern allein ist in der Umgangszeit und sie evtl. negativ beeinflusst oder ebenfalls missbraucht, ist häufig vorhanden und nicht unberechtigt.
  • Hinzukommt der Ruf der Familie, der vielleicht den Kindern schadet, wenn die familiäre Gewalt ans Licht kommt.

Wenn eine Frau sich von der Sorge um ihre Kinder steuern lässt, gibt es also viele Gründe, die sie von einer Befreiung aus einer Gewaltbeziehung zurückhalten.

Dass das Erleben von häuslicher Gewalt Kindern ebenfalls schadet, ist zwar vielen bekannt. Die Entscheidung erfolgt hier manchmal aber zwischen Pest und Cholera – je nach Veranlagung des missbräuchlichen Vaters. Es gibt – je nach Situation – kein kleineres Übel, wenn die Kinder im Fokus stehen.

Stattdessen muss das Leid der Kinder in Kauf genommen werden – so oder so.

Daher muss das Hauptmotiv für die Trennung das Wohlergehen der Mutter/Frau sein. Denn:

  • Eine Frau, die sich aus einer Gewaltbeziehung befreit, soll das in erster Linie für sich tun. Weil sie so nicht mehr leben will. Um keinen Preis.
  • Mütter, die sich aus Gewaltbeziehungen befreien, müssen nicht optimiert werden für ihre Kinder. Sie müssen lernen, für sich zu sorgen. Für sich einzustehen. Ihre Bedürfnisse und ihr Wohlergehen in den Fokus zu stellen. Von der Position aus können sie auch gut für ihre Kinder sorgen. Das Wohlergehen der Mutter sollte immer an erster Stelle stehen, besonders wenn sie alleinerziehend ist. Und noch mehr, wenn sie sich aus Gewalt befreit hat.
  • Der Fokus dieser Frauen und Mütter muss erst einmal ganz auf sie selbst zurückgehen. Und genau so sollten sie auch beraten werden. Mit vollem Rückhalt, vollstem Verständnis und Glauben und Vertrauen in sie und ihre Geschichte.
  • Jede Beschäftigung mit dem Täter und ihrer angeblichen Verantwortung oder Schuld für sein Verhalten („Victim-Blaming“) sollte zurückgefahren werden. Das Kreisen um den Täter und seine Motive hält in der Beziehung und verhindert eine erfolgreiche Befreiung.
  • Der derzeitige Beratungs-Fokus auf der Bedeutung der Vaterschaft für die Kinder ist mit großer Vorsicht zu genießen. Wenn der Vater gleichzeitig ein Täter ist, ist das Schutzbedürfnis der Mutter für die Kinder berechtigt. Gewaltschutz sollte immer vor Umgangsrecht stehen. Mütter und Kinder sollten nicht gezwungen werden, ohne Schutz mit ihrem Misshandler konfrontiert zu werden wegen Kindesumgang.

„Fixing the woman“ gehört in jeder Hinsicht in die Tonne

Wir Frauen dürfen den Schwerpunkt unseres Lebens auf UNSER Glück und UNSER Wohlergehen legen. Wir dürfen wieder lernen, uns auf uns selbst, unsere Grenzen und unser Bauchgefühl zu verlassen. Genau diese Haltung schützt vor weiterem Missbrauch und zeigt auch unseren Kindern, wie sie sich vor Missbrauch schützen und Grenzen anderer Menschen wahren.

Wenn „fixing the woman“ im beruflichen Umfeld ein falscher Weg ist, wie Robert Franken das so schön beschreibt, ist er das erst recht im privaten Umfeld und noch mehr nach einer Trennung aus einer missbräuchlichen Beziehung. Statt uns selbst immer weiter anzupassen und zu optimieren, um eine gute Mutter, eine gute Frau, eine gute Arbeitnehmerin zu sein, reicht es vollständig aus, wenn wir uns zutrauen, dass wir das so gut machen wie wir es nur können. Und dass genau das völlig ausreichend, wenn nicht sogar hervorragend ist. Wir dürfen uns zumuten mit all unseren Fehlern, Grenzen und auch Schattenseiten, aber auch mit unseren vielfältigen Talenten und Fähigkeiten, die wir so gern unter den Scheffel stellen oder uns nicht zu leben trauen.

Wir dürfen und müssen für uns und unser Wohlergehen einstehen – auch gegen Widerstände. Für uns selbst. Weil wir und unser Leben wertvoll sind. Damit geht es ganz selbstverständlich auch unseren Kindern besser.


Bild: pixabay, Pexels

7 Kommentar

  1. Wenn eine Frau sich selbst priotisiert, wird ihr gerne vom System eine „Narzistische Störung“ unterstellt und die Kinder sind – schwups – weg. Der Diskurs Menschenrechte, Frauenrecht wurde über das Kindschaftsrecht dank der „neuen“ – rechts-aussen – Väterbewegung komplett untergraben. Wie konnte das nur passieren.. ach..

    • Ja, in der Tat. Genau aus diesem Grund ist es aber wichtig, den Fehler im System und in der Wahrnehmung und Haltung zu benennen. Eine Frau, die gut für sich selbst sorgt, ist eben nicht narzisstisch gestört, sondern sehr gesund. Und sie benutzt die Kinder nicht als Alibi für irgendeine Entscheidung.

  2. Sehr einfühlsam geschrieben, und auch achtsam mit dem Gefahrenhinweis. Wenn du dich als Frau wieder als Selbst wahrnimmst und ganz langsam ( Rückfälle inclusive) wieder für dich stehen möchtest um für dich einstehen zu können, dann ist nach dem Ende eine Liebesbeziehung immer ein Weg. Mit gemeinsamen Kindern, der erlebten Gewalt endlich ins Auge sehend, kann es ein langer Weg sein, ein mühsamer. Wir könnten Unterstützer brauchen, doch die Victimblamer sind überall…. und sie sind so viele. Neulich begannt Carolin Emke einen ( in einem anderen Artikel über Opfer) Text mit den mich immer wieder aufrüttelnden Worten von Adorno:

    Das Leben hat sich in eine zeitlose Folge von Schocks verwandelt, zwischen denen Löcher, paralysierte Zwischenräume klaffen“, schrieb Theodor W. Adorno 1951 in der „Minima Moralia“, den „Reflexionen aus dem beschädigten Leben“, wie der Untertitel lautet.

    Wenn Frauen „gehen“, wenn sie die Kraft finden und den Mut und erzählen, was ihnen passiert ist, dann müssen sie sich rechtfertigen und werden beschuldigt, bestraft. Wir sind beschädigt, wenn wir gehen. Und „man“ lässt uns nicht mal Schmerz zu fühlen, die Schockstarre eines Traumas wird uns verdreht zu psychischen Störungen, Selbstschutz wird zu Egomanie und daraus resultiert dann für die Ver- Urteilenden dann die Erziehungsunfähigkeit.
    Ein selbstbestimmtes Leben führen wenn die Mühlen des Familienunrechts- System dich am Wickel haben, das ist ist ein Kampf gegen Windmühlen. Und es ist alles andere als einfach, den durchzuhalten. Bis zum 18. Geburtstag des jüngsten Kindes…. DANKE an JEDES GRAMM MUTMACHER….

  3. Hallo, ich finde den Artikel sehr treffend geschrieben. In dem derzeitigen System sollte Selbstschutz immer an erster Stelle stehen. Es ist wirklich skurril zu erleben wie sich Jugendämter, Gutachter und teilweise auch Familiengerichte dem Täterschutz verschrieben haben.

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