Vergib Ihnen, denn sie wissen nicht… blabla

InBeziehungsgewalt, Krise, Partnerschaft, Trennung
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Es wird sehr häufig behauptet, dass erst Vergebung zu echter Freiheit und Frieden führt. In unserer christlichen Kultur ist Vergebung tief verankert. Auch viele andere Religionen und neoreligiöse Strömungen geben der Fähigkeit zur Vergebung einen hohen Wert.

Meine eigene Lebenserfahrung hat mich gelehrt, dass Vergebung um jeden Preis nicht erstrebenswert ist. Ich habe lange versucht, nach dem Prinzip Vergebung und Verständnis zu leben. Ich habe versucht, mein Gegenüber zu verstehen, warum er etwas macht, warum er sich z.B. verletzend verhält. Ich habe auch daran geglaubt, dass in jedem Menschen Güte und ein göttlicher Funke ist, dass jeder Mensch eigentlich nach dem Guten strebt und es richtig machen möchte, dabei aber teilweise fehlgeleitet wird.

Heute sehe ich das anders. Ich glaube, dass es vor jeglicher Vergebung erst einmal wichtig ist, auf sich selbst zu schauen, auf seine eigenen Rechte, auf sein eigenes Wohlergehen und vor allem auf die eigene Würde. Ich vergebe und verzeihe nur noch das, was ich vergeben und verzeihen kann und möchte. Ich lasse mich nicht mehr in ein moralisches Korsett zwängen und ich lasse mir auch nicht mehr sagen, dass es mir besser geht, wenn ich endlich verzeihen lerne.

Im Gegenteil: seit ich manche Dinge nicht mehr vergebe und verzeihe, geht es mir viel besser. Denn ich stehe nun zu mir selbst und zu meiner Verletztheit. Ich stehe dazu, dass mir etwas angetan wurde, das nicht einfach durch Verzeihen hinweggewischt werden sollte. Ich möchte, dass mein Schmerz ernstgenommen wird. Insbesondere möchte ich mich selbst mit meinem Schmerz endlich ernstnehmen.

In meinem Leben habe ich durch meine so verständnisvolle Haltung sehr viel verziehen und vergeben, was man eigentlich nicht vergeben sollte. Ich habe mich selbst vergessen, um dem anderen, der mir Schmerz zufügte, zu vergeben. Ich war immer sehr empfänglich dafür, wenn jemand mir vorwarf, ich wäre zu negativ oder zu nachtragend.

In einer Gewaltbeziehung kann es z.B. ein ganz wichtiger Schritt sein, nicht mehr zu vergeben. Stattdessen sollte die Vergebung wenn überhaupt uns selbst gelten: für meine vielen Fehler, für mein Mich-selbst-verleugnen, für das mich-unter-den-Scheffel-stellen, für meine Opferhaltung, für das Zulassen von Dingen, die ich nicht zulassen sollte, die meine Würde verletzen.

Wie siehst Du das?

Einen erweiterten Blog-Beitrag zum Thema „Vergeben beenden“ liest Du hier.