Guten Tag! Ich bin eine Mutter und greife das Patriarchat an.
Vor drei Wochen habe ich das mit der Aktion #CoronaElternRechnenAb in einem Team von drei Müttern gewagt – mit der genialen Idee von Karin und der Erfahrung, dem Können und Netzwerk von Sonja. Außerdem mit dem großartigen Anschub von Edition F/ Mareice Kaiser und von Patricia Cammarata (EINFACH AN DIESER STELLE MAL DANKE AN EUCH ALLE!!!).
Und was tut das Patriarchat, wenn es von seinen Erzfeindinnen – Müttern – angegriffen wird? Es schlägt zurück. Mit voller Wucht. Je frecher und provokanter die Idee, je tiefer ein Nerv getroffen wird, desto härter ist der Rückstoß. Insofern: Es war erfolgreich. Aber: Der potenzielle Schaden, die Ängste und der Energieverlust sind nicht zu unterschätzen.
Niemand möchte, dass Mütter im Patriarchat laut werden. Niemand.
Ja, und wie Patriarchat? Patriarchat? In Deutschland? Ist doch längst Vergangenheit!
Das deutsche Patriarchat ist hartnäckig und stinkt wie Harzer Käse. Das ist jedoch ein Käse, der in einer schicken, teuren Tupperdose steckt. Gestützt wird er von Müttern, Frauen, Männern und Vätern, die der Meinung sind, es sei ganz natürlich und selbstverständlich, dass vor allem Mütter aus Liebe ALLES für ihre Kinder tun. Aufopferung bis zum Untergang. Nur nicht zu laut jammern. Ungerechtigkeiten nicht benennen.
Und schon gar nicht und auf KEINEN Fall:
DEN WERT DER EIGENEN LEISTUNG IN ZAHLEN NIEDERLEGEN UND SOGAR ABRECHNEN!!!
Wer mich und uns nicht alles in Folge angefeindet hat:
- Männer, die uns sagen, wir hätten uns doch selbst für Kinder entschieden und hätten halt verhüten sollen, wenn wir nicht bereit seien, uns zu kümmern.
- Väterrechtler, die sich beschweren, sie dürften ihre Kinder ja (aus völlig unerfindlichen Gründen) nicht sehen und wenn sie das dürften, würden sie mit links das Homeschooling und die Betreuung neben ihrer Arbeit übernehmen. Diese „Mütterrechtlerinnen“ würden das aber verhindern. (Sidenote: Wir haben bewusst von ELTERN gesprochen und geschrieben! Warum fühlen die Väter sich denn da nicht mitgemeint?)
- Mütter, die behaupten, für sie sei das alles überhaupt kein Problem. Sie würden ihre Kinder schließlich lieben und es sei ja Pandemie. Da müssten halt alle zusammenhalten. Die paar Monate kann man das ja wohl mal aushalten. Und: Man darf doch seine Kinder nicht abrechnen!1!!!11!!
- Männer, die sich brüsten, sich die ganze Pandemie über um ältere Menschen gekümmert zu haben. Wie es Mütter jetzt wagen könnten, Carearbeit abzurechnen?!? Wie unsozial ist DAS denn? Diese furchtbaren Feministinnen, die alles kaputt machen.
- Frauen, die es grundfalsch finden, dass wir uns nicht weiter dem Shitstorm ausgesetzt haben, indem wir uns der Presse zur Verfügung halten. Ob das jetzt eine Gefährdung für unsere Kinder und uns als Personen darstellt … hey, sei doch nicht so eine Pussy!
- Presseleute, die uns unter Druck zu setzen versuchten und die dann doch vor allem nur der Shitstorm und wir als Personen interessiert haben – NICHT DAS THEMA CAREARBEIT. („Alleinerziehende Mütter, klar. Die sind ja sowieso zu NICHTS in der Lage, konnten den Mann nicht halten und sind gescheitert. Die wollen doch sowieso nur dem Staat auf der Tasche liegen.“)
- Männer auf Twitter, die klar stellten: #CoronaElternRechnenAb ist der schlechteste Hashtag des Jahres und die GANZE WELT würde sich über uns lustig machen (Sidenote: Mütter in Italien und Frankreich finden die Idee so super, dass sie das auch starten wollen.)
- Bloggerinnen, die die Idee einfach irgendwie nicht gut finden. Sie hätten ja auch was gemacht. Aber SOOO?!?
- LehrerInnen und ErzieherInnen, die sich persönlich auf den Schlips getreten und entwertet fühlten, weil wir als Orientierung für den Stundensatz die Besoldungstabelle von LehrerInnen und ErzieherInnen im Blogpost genannt haben. „Ihr habt doch überhaupt keine Ausbildung!!1!111!!!“ (Ja, ne. Haben wir auch nicht. GENAU DARUM GEHT’S DOCH! Wir sitzen doch da in einem Boot! Wir brauchen Euch!)
- …und alle möglichen anderen Menschen und Gruppierungen, die sich von uns nicht ausreichend gesehen, gewürdigt und benannt fühlten in den zwei Blogposts, die wir als 3 Privatpersonen innerhalb von 3 Tagen ins Rollen gebracht haben.
- Und wer übrigens bemerkenswert laut geschwiegen hat: Die Väter und selbsternannten Feministen, die auf Nachfrage sagten, sie seien so angestrengt vom Tag, dass sie sich jetzt nicht noch auf Twitter streiten könnten.
Also: Ich bitte um Entschuldigung, dass ich es gewagt habe, die Klappe aufzureißen und wir das alles wirklich furchtbar grundfalsch gemacht haben!
Und um das mal klarzustellen, liebe Leute, SO wird das nichts mit der Abschaffung des Patriarchats! (…,das ja angeblich sowieso nicht existiert, aber gerade sehr gut sichtbar ist an der Situation von Eltern, Müttern, Kindern und Carearbeitenden in der Pflege, in den Schulen, in den Kitas UND an den Reaktionen in Social Media).
Sehr dankbar bin ich allerdings den vielen Müttern (Väter sind jetzt mal mitgemeint), die uns unterstützt haben, die selbst Rechnungen und Blogposts geschrieben haben und der Thematik in Presse, Social Media und Fernsehen ihr Gesicht gegeben haben. Sie haben gezeigt:
Wir sind nicht allein – wir unverschämten Mütter.
Wir finden es eben überhaupt nicht selbstverständlich, dass wir seit Monaten ohne Perspektive, angemessene und funktionsfähige Konzepte und ohne ausreichende finanzielle Unterstützung und Absicherung unserer Arbeit vom Bundesfamilienministerium nur mit netten Worten und Filmchen abgespeist werden. Wir sind zu Recht wütend. Unsere Erschöpfung hat gute und strukturelle Gründe. Es liegt NICHT daran, dass wir einfach nur zu schwache Nerven haben, die wir ja mit einem Anruf bei der Seelsorge wieder kurzerhand rebooten können.
Carearbeit muss sichtbar werden…
und endlich die Wertschätzung erfahren, die ihr gebührt. Carearbeit ist DIE Grundlage aller anderen Wirtschaftsleistungen und wird überwiegend von Müttern geleistet. Im Rahmen der Pandemie erleben wir aber einen gewaltigen patriarchalen Backlash, der vor allem Frauen und Müttern schadet und der Frauen und Mütter systematisch verstummen lässt im Vertreten ihrer Interessen und der Interessen ihrer Kinder.
Weil: Wer erschöpft ist, schweigt.
Wenn jetzt die Lufthansa 9 Milliarden von SteuerzahlerInnen in den Hals geschoben bekommt oder die wirtschaftlich wirklich sehr, sehr schwache deutsche Autoindustrie (hier Tränen-Smiley einfügen) mit der Abwrackprämie einen ordentlichen Anschub bekommt und das Geld erstmal wieder in Dividenden auszahlt, reagiert Twitter mit Grillenzirpen. Kann man ja total verstehen, dass diese klimaschädlichen Uralt-Industrien das sind, was wir ganz dringend für unsere Zukunft im Klimawandel brauchen. Schließlich sind die ja ArbeitgeberInnen. Nur komisch: Wo sind denn die ArbeitnehmerInnen? Ach ja, im Homeoffice und seltsamerweise kurz vor Burnout.
Also tschüss, ich geh dann mal schweigend kochen, halte nebenher als multipotente, deutsche Mutti dem schwächelnden Bildungssystem den Rücken frei und arbeite mit starken Nerven im Homeoffice. Ich freue mich schon auf die Altersarmut.
Ich liebe ja meine Kinder.
P.S.: Noch eine Ergänzung mit freundlichen Grüßen an unsere Bundes- und Landesregierungen
Da ja die vielen Mütter, die eine Rechnung an das Familienministerium ihres Bundeslandes geschrieben haben, jetzt die Antwort erhalten, es sei doch alles knorke inzwischen, weil ja die Schulen und Kitas wieder auf sind, noch eine Ergänzung:
- Erstens frage ich mich, wie man denn einfach so die letzten Monate unserer Leistungen ignoriert. Die Leistungen sind erbracht und gehören im Kapitalismus entsprechend entlohnt. Oder verstehe ich da was falsch, wie Kapitalismus funktioniert?
- Zweitens ging es uns bei der Aktion NIE darum, die Schulen und Kitas ohne ausreichendes Sicherheitskonzept für den Schutz der Kinder, Eltern, Familien, LehrerInnen und ErzieherInnen schnell wieder zu öffnen. Stattdessen wäre es wichtig, Zeit, Geld und Hirnschmalz zu investieren, um jetzt endlich ein funktionsfähiges, modernes Digitalisierungs-Konzept für Unterricht vorzulegen, so dass Homeschooling auch in sicher folgenden Pandemien von Fachleuten – also LehrerInnen – erfolgen kann. Ähnliches gilt für Kitas. Anderen europäischen Ländern – z.B. Island – gelingt das auch. Also…
- Drittens wäre es höchste Zeit, dass das Bundesfamilienministerium mal seine Ansprache an Eltern überdenkt und nicht konstant die eigene politische und konzeptuelle Verantwortung an Mütter und Eltern delegiert. Die bisherigen Hilfskonzepte zeigen deutlich, dass das Bundesfamilienministerium von dieser Haltung nicht abrückt. Es müssen nicht die Nerven der überlasteten Eltern über Seelsorge-Telefonate gestärkt werden. Es ist kein Einzelproblem von Eltern, die einfach nicht stark genug sind. ES IST EURE POLITISCHE VERANTWORTUNG, JETZT ALLE KRAFT IN WIRKLICH TRAGFÄHIGE, MODERNE KONZEPTE ZU STECKEN! DAS IST EUER JOB! (Verdammt noch eins!)
- Viertens könnt Ihr bei der jetzigen Situation doch nicht tatsächlich behaupten, es sei alles wieder in Butter. Viele Kinder gehen derzeit nur einmal in der Woche in die Schule. Kitakonzepte sind nach wie vor nicht ausgereift. Wie es nach den Ferien weitergeht, weiß kein Mensch. Die Verantwortung für die Umsetzung wird überwiegend an die Schulleitungen und Kitaleitungen und dann wiederum an die LehrerInnen und ErzieherInnen und am Ende wieder an die Eltern und Mütter delegiert. Auch das ist eigentlich: EUER JOB!
Bild: pixabay / lipefontes0
Hallo Rona
Hut ab, vor deiner Wut, die mit Mut Sachverhalte anspricht, die andere sich nur hinter vorgehaltener Hand getrauen!
Es ist doch im Grunde ein altes, leidiges Thema…
Wenn eine Frau einen Misstand anprangert gilt sie als hysterisch… wenn das gleiche ein Mann tut, ist er sozusagen ein Held. Dort fängt es doch schon an….
Nach dem Motto: Wenn zwei das gleiche tun, tun sie eben! nicht das selbe….
Corona zeigt uns auf, welche Werte unsere Gesellschaft prägen…
Die Herren diskutieren den Virus, die Frauen sorgen für die Hygiene….
wir geben für so vieles mehr Geld aus, als für die Tagesbetreuung unserer Kinder….
und darüber regt sich niemand auf !!
Hier noch ein Buchtip: „Unsichtbare Frauen“ von Caroline Criado-Perez
Hochachtungsvoll und herzliche Grüsse
Mirjana
Liebe Mirjana,
vielen Dank für den sehr treffenden und bestärkenden Kommentar und danke auch für den Buchtipp.
Herzliche Grüße
Rona