Du hast jede Menge Kraft Erfahrungen mit einer Gewaltbeziehung

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Möchtest Du wissen, wie andere Frauen sich aus einer Beziehung lösen konnten, in der sie Gewalt erlebt haben? Oder möchtest Du wissen, wie sich eine solche Partnerschaft entwickelt und warum eine selbstbewusste Frau zunächst sogar häufig bei ihrem gewalttätigen Partner bleibt? Wie geht es einer Frau, die solch schwierige Erfahrungen hinter sich hat? Wie sieht ihr Leben danach aus?

Karin (48) ist Sozialpädagogin mit Magister Artium. Sie hat zwei Söhne, die bei ihr leben.

Bitte beachten: Teile des Interviews können triggern, da Gewalterfahrungen geschildert werden.

Wie war das Verhältnis zu Deinem Partner am Anfang, als Ihr Euch kennengelernt habt?

Meinen zukünftigen Mann, der 10 Jahre älter ist als ich, habe ich schon mit 22 Jahren kennengelernt. Er hat mich sehr intensiv „umworben“, aber das Verhältnis war immer schwierig. Es gab mehrere Beziehungsabbrüche meinerseits, mit dem Ziel, den Kontakt zu beenden, was mir nicht gelang. Längere Zeit lebte ich in einer anderen Beziehung in einer anderen Stadt, 700 km von ihm entfernt. Nachdem ich nach Ende des Studiums in meine Heimatstadt zurückkehrte, würde die Beziehung enger. Einige Zeit später haben wir geheiratet. Damals war ich 30 Jahre alt.

Wie hat sich die Beziehung im Laufe der Zeit entwickelt?

Langsam kristallisierte sich heraus, dass der charmante erfolgreiche Geschäftsmann emotional sehr instabil und bedürftig war. Er wurde nicht müde, mir zu vermitteln, wie sehr er mich „brauchte“. Damit bin ich in die klassische Helferfalle getappt, für die wir Frauen meist sehr anfällig sind. Als wir bereits verheiratet waren, wurde zunehmend klar, dass seine Bedürfnisse immer Vorrang hatten. Ging etwas nicht nach seinem Willen oder vertrat ich eine andere Meinung als er, konnte er sehr cholerisch und verletzend reagieren oder sich komplett zurückziehen. Aus heutiger Sicht kann ich sagen, dass mein Ex-Mann eine starke narzisstische Störung hat. Die Beziehung geriet langsam und nahezu unmerklich immer mehr in eine „Schieflage“. Streitereien und lautstarke Auseinandersetzungen wechselten sich ab mit Phasen, in denen er sich völlig zurückzog und nicht mehr mit mir sprach oder mit Phasen „perfekter Harmonie“, die er immer anstrebte. Letztere setzen allerdings voraus, dass ich in jeder Hinsicht seine Meinung teilte und alles nach seinen Wünschen und Vorstellungen funktionierte. Ein heftiger Streit konnte schon darauf entbrennen, dass ich z.B. einen gemeinsam gesehenen Film anders beurteilte als er. Er vertrug generell keine unterschiedliche Sichtweisen auf die Welt und war und ist unfähig, Meinungen anderer Menschen stehen zu lassen, die von seinen abweichen. Auf diese Weise hatte er auch die meisten seiner Freunde verloren, da er stets den perfekten Gleichklang forderte und abweichende Auffassungen als persönliche Verletzung betrachtet.

Zu welchem Zeitpunkt hast Du die Gewalt klar erkennen können?

Hier muss ich klar unterscheiden zwischen psychischer und physischer Gewalt. Erstere habe ich fast als noch massiver und unerträglicher erlebt als die körperlichen Übergriffe, die später folgten.

Die psychische Gewalt, die von ihm ausging, war eigentlich schon zu Beginn der Ehe sichtbar, nur habe ich es ignoriert und nicht richtig „eingeordnet“. Ein Mensch mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur ist Meister darin, andere Menschen zu manipulieren und ihnen das Gefühl zu geben, „Schuld zu sein“ an den Unstimmigkeiten und Konflikten, die sich auftun. Eine Frau, die mit einem Narzissten lebt, wird dagegen Meisterin darin werden, ihr Verhalten möglichst den Wünschen des Partners anzupassen, ständig „nachzujustieren“, ihre eigene Meinung an den Nagel zu hängen und irgendwann selbst zu glauben, alles sei ihre eigene Schuld. Darin wird ihr der Narzisst selbstverständlich recht geben und weiterhin Öl ins Feuer gießen. Neben diesen Verhaltensforderungen kam noch Eifersucht ins Spiel, Eifersucht auf alles und jeden, sogar auf die beste Freundin. Sein Verhalten wurde zunehmend übergriffiger, er fing zunächst an, meine Tagebücher und Briefe zu lesen, mit der Begründung, das sei sein gutes Recht, bei einer Frau, die so einen Schwachsinn schriebe. Jeder kleine Anlass, sei er noch so geringfügig, konnte in einem nächtelangen Streit eskalieren. Nach außen hin war davon nichts zu bemerken. Er blieb der charmante, humorvolle, gewinnende Mann, der seine glückliche Ehe pries….

Die erste „Eskalationsstufe“ dieses unglückseligen Zustands brachte die Geburt des ersten Kindes. Alles eskalierte: Die Eifersucht, die Forderungen nach einem „richtigen“ Verhalten, die Beschimpfungen, die Auseinandersetzungen- und sein Alkoholkonsum. Nächtelange Streitereien, leere Whisky- und Weinflaschen, erzwungerer Sex, chronischer Schlafmangel. Das alles mit einem kleinen Kind im Haus, das ihn nicht interessierte. Ich war müde, überfordert und völlig verunsichert. Und zudem überzeugt, dass alles nur meine Schuld ist. Dafür sorgte er stets. So überzeugt, dass sogar seine Drohungen funktionierten. „Wenn du so weitermachst, dann muss ich mal mit deinen Eltern sprechen, wie du dich hier aufführst“. Er drohte mir mit meinen eigenen Eltern und ich war so blind und hilflos, dass ich ihm sogar das glaubte und bat, das nicht zu tun. Als mein Sohn 18 Monate alt war , habe ich – Gott sei Dank – wieder angefangen, Teilzeit zu arbeiten, so dass mehr Außenkontakte auch meine Realitätssicht wieder etwas geradegerückt haben. Mehr Widerstand bedeutete natürlich sofort auch noch mehr Konflikte, so dass ich meist nachgab, mich seiner Meinung anschloss oder den Mund hielt.

Das zweite Kind wollte ich nicht mehr, aber jetzt wollte er es. Er, der ohnehin nie ein Kind wollte, seinen Sohn bis dahin völlig ignorierte, wollte unbedingt ein zweites Kind. Und so kam es dann auch. Ich hatte weder Kraft noch das Selbstbewusstsein Nein zu sagen. ´

Die zweite Schwangerschaft brachte die nächste Eskalation. Noch mehr Alkohol, noch mehr Streit, noch weniger Schlaf und den ersten körperlichen Übergriff. Ich war perplex. Er war perplex. Er schwor, das käme nie wieder vor. Ich hatte Angst und habe es ihm geglaubt. Die zweite Schwangerschaft war ein Trip durch die Hölle. Zerschmetterte Türen, zerbrochene Scheiben, blaue Flecken, gebrochene Rippen. Was nie wieder vorkommen sollte, wurde zum nächtlichen Dauerzustand. Die Schwangerschaft war ihm egal.

Wie bist Du mit dieser Erkenntnis umgegangen?

Ich war verzweifelt, machte einen Termin bei ProFamilia und bat ihn daraufhin, eine Paartherapie zu beginnen. Er lehnte selbstverständlich ab. In seinen Augen war ich verrückt und nur ich auch außerordentlich therapiebedürftig. Das war mein Glück, denn ich suchte mir eine Therapeutin und er fand es gut. Allerdings wollte lieber er mit ihr über mich sprechen, um ihr zu erklären, wie „verrückt“ ich sei, als mir das selbst zu überlassen, so überzeugt war er, mich besser zu kennen als ich mich selbst. Er hatte wohl gehofft, hier eine Verbündete zu finden, die ihn darin unterstützt, mich nach seinen Wünschen zu verändern. Sie hat das natürlich abgelehnt, eigene Therapiestunden hat sie ihm angeboten, aber das wollte er selbstverständlich nicht. Sie hat mich durch die gesamte Schwangerschaft begleitet. Ich vermute, sie hatte mehr Angst um das Leben des Kindes und meines als ich selbst. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Angst mehr. Ich habe so stark dissoziiert, dass ich zu meinen Gefühlen keinen Zugang mehr hatte. Eine Trennung kam in meinen Gedankengängen zwar hin und wieder vor, aber als völlig abwegig. Ich war komplett gefangen in dieser Beziehung und so reagierte ich auch.

Nach einem weiteren heftigen Streit hatte ich 6 Wochen vor dem Geburtstermin einen Blasensprung, mein zweiter Sohn wurde per Kaiserschnitt entbunden, etwas zu leicht, aber gesund. Er blieb 3 Wochen in der Klinik auf der Intensivstation, ich verbrachte 8-10 Stunden täglich dort. Der Vater kam zweimal. Als ich den Kleinen nach Hause holen durfte, kam die Oma, um das Kind und mich heimzubringen, der Vater hatte keine Zeit. Er hat uns später zuhause begrüßt und ist dann sofort zum Fußballtraining gegangen.

Und es ging immer weiter. Es gab eine dritte Stufe. Er wurde so gewalttätig, dass er auch vergaß, dass ich ein Baby im Arm hatte oder das Kind in der Wiege lag, auf die er mich gerade geschleudert hatte. Mein knapp vierjähriger Sohn erschien im Zimmer und sagte „lass die Mama in Ruhe“. Er hat ihn nicht einmal registriert. Er war außer sich. Er ließ mich nicht mehr aus dem Haus. Überprüfte mein Handy, meinen Computer, mein Adressbuch. Fuhr mir hinterher. Brach den Schrank auf mit meinen Tagebüchern, kopierte die Einträge und sperrte sie in den Tresor seines Büros. Und er trank und trank und trank. Ich weihte meine beste Freundin ein und deponierte eine „Notfalltasche“ in ihrer Wohnung. Sie drängte mich zur Trennung, immer wieder. Und ich blieb. Meine Therapeutin insistierte, versuchte immer wieder, das Thema Trennung anzusprechen. Ohne Erfolg. Ein paarmal versuchte ich halbherzig, die Polizei zu rufen, er schlug mir das Telefon aus der Hand. „Das sieht dir ähnlich, mit deiner Verrücktheit mir noch meinen beruflichen Ruf zu ruinieren“, war sein Kommentar. Seine Beschimpfungen wurden wüster und primitiv. Sie haben mich nicht mehr erreicht. Ich hatte keine Angst mehr und er konnte mich nicht mehr verletzen. Er konnte mich nur irgendwann umbringen.

Und soweit kam es dann fast auch . Eines Nachts würgte er mich so lange und so heftig, bis es mir schwarz vor Augen wurde. Nicht mir. Der Frau, die da auf dem Bett lag. So habe ich das „gesehen“, als erlebte ich es von außen. Ich dachte nur, das war´s jetzt.

Wann war für Dich klar, dass nur noch eine Trennung möglich ist und wer oder was hat Dir bei der Entscheidung geholfen?

Das war der Moment, wo ich das glasklar wusste: Es gibt keinen anderen Weg. Du musst die Kinder nehmen und gehen, solange du noch kannst. Im Endeffekt war es also die „Extremsituation“, die die Entscheidung bewirkt hat. Ich denke, meine Therapeutin hat sehr stark darauf hingearbeitet, dass ich den Gedanken „Trennung“ überhaupt zulassen konnte, aber es hat lange, lange gedauert. Und dann ging alles ganz schnell. So, als hätte ich die Handlungsfähigkeit, die mir so lange abhanden gekommen war, innerhalb von Sekunden wiedererlangt.

Wie hast Du die Trennung vollzogen?

Am nächsten Morgen tat ich , als wäre gar nichts geschehen. Er hat den Großen auf dem Weg ins Büro in den Kindergarten gefahren, ich bin wenig später mit dem Kleinen zu irgendeinem Babyprogramm gestartet, PEKIP oder was Mittelstandsmütter eben machen … aber direkt weitergefahren zu meinen Eltern. Sie haben nicht viel gefragt, ich habe ihnen nur gesagt: Wir gehen nicht zurück, holt bitte den Großen aus dem Kindergarten ab. Das haben sie getan und uns alle drei bei sich aufgenommen. Die nötigen Sachen hat mein Vater aus dem Haus geholt. Danach hatte ich wochenlang keinen Kontakt zum Vater der Kinder. Als er einen Telefonterror auf meinem Handy startete, änderte ich sofort die Handynummer. Ich schaltete – auch sofort – einen Rechtsanwalt ein. Mein kleiner Sohn war zu diesem Zeitpunkt 5 Monate alt, wurde umhegt und umsorgt von der Oma und hat seinen Vater monatelang nicht mehr gesehen. Der Große wurde vom Großvater stundenweise an den Vater übergeben, das ließ sich leider nicht verhindern, das Gericht hat so entschieden. Wir sind umgezogen, in die Nähe der Großeltern. Das Haus meines Ex-Mannes habe ich nur noch einmal betreten, gemeinsam mit meinen Eltern und einer Freundin, um in seiner Abwesenheit einen „Blitzumzug“ zu organisieren. Danach nie wieder. Die Gerichtsverfahren zogen sich über 5 Jahre. Der Vater beantragte alleiniges Sorgerecht, da die Mutter angeblich unter einer Borderline-Störung leide… Ich schaltete das Jugendamt ein und das Gericht forderte ein familienpsychologisches Gutachten, das sich auch über ein gutes Jahr hinzog, aber immerhin die Dinge halbwegs geraderückte. Ich konnte ihm die häusliche Gewalt nicht beweisen, aber zumindest vernünftige Unterhaltszahlungen und eine Scheidung zu akzeptablen Konditionen erwirken. Die Kontakte zu den Kindern wurden gerichtlich zugelassen und jahrelang von meinen Eltern organisiert, die Kinder stets an öffentlichen Plätzen übergeben. Ich habe jeden persönlichen Kontakt ohne Anwesenheit Dritter abgelehnt. Bis heute. Inzwischen ist das 8 Jahre her. Wir sind soweit, dass er die Kinder vor der Gartentür abholen kann und wir hin und wieder wegen der Kinder telefonieren. Mein Haus darf er nicht betreten. Er versteht bis heute nicht, warum ich mich von ihm getrennt habe. Er schreibt weiterhin endlose Briefe und anklagende SMS. Erstere werfe ich ins Altpapier und letztere lese ich nicht. Er macht Geschenke, die ich sofort verweigere. Er macht Vorschläge für Treffen zu zweit, zum Wohl der Kinder natürlich, die ich seit 8 Jahren ablehne. Er gibt nicht auf, er leidet. Verstanden hat er gar nichts. Aber ich kann seine Realität nicht ändern. Er hat in meinem Leben einfach keinen Platz mehr.

Wie ging es Dir in der Zeit nach der Trennung?

Ich war vermutlich völlig am Ende, aber davon habe ich nichts bemerkt. Es ist unglaublich ,welche Kräfte man mobilisieren kann, wenn es nötig ist. Es gab zwei „Grundgefühle“ in dieser Zeit: Sicherheit und Freiheit. Manchmal merkt man erst, wenn eine Situation vorbei ist, wie belastend sie war. Das Gefühl, die Kinder in Sicherheit zu wissen und sicher sein, war unbeschreiblich. Die gefühlte „Allmacht“ meines Mannes ist zusammengebrochen wie ein Kartenhaus. Und Freiheit. Freiheit, zu denken und zu tun, was ich will. Hinzugehen , wo ich will. Keiner kontrolliert, keiner kritisiert. Ich hatte unglaublich viel Kraft in dieser Zeit. Ich hatte beide Kinder, den Kleinen habe ich noch gestillt, hatte tausend Termine und Gerichtsverhandlungen, und Energie für alles. Wir haben ein Haus gefunden, in das wir 6 Monate später einziehen konnten, bis dahin haben uns die Großeltern beherbergt. In diesem Haus gibt es grüne, orange und gelbe Wände, rote Sofas und keinen Fernseher im Wohnzimmer 😉 Wenig fixe Regeln, immer ein bißchen Chaos und jede Menge Freude. Ich habe wochenlang Farbkübel herumgeschleppt und zwischendurch das Baby gestillt und das war die beste Therapie…. Kraft gegeben haben mir meine Eltern, meine Freunde, meine Kinder, meine Therapeutin, ein kompletter Neuanfang an einem anderen Ort und das Gefühl, dass jetzt endlich, endlich das Leben wieder anfängt. Die stärkste Kraft steckt in dir selbst. In einer Gewaltbeziehung zu leben, erfordert immens viel Kraft, jede Minute, jeden Tag. Sie bindet jede Energie und alle Kräfte, die du hast. Das Gefühl, völlig erschöpft, kraftlos und handlungsunfähig zu sein, ist logisch und es trügt. Es hört in dem Augenblick auf, in dem du die Beziehung beendest. Sie ist der Energie- und Krafträuber schlechthin. „Ich habe keine Kraft mehr, um zu gehen“, ist ein Streich, den dir dein Kopf spielt. Du hast jede Menge Kraft, du verschwendest sie nur, um zu bleiben. Das habe ich sehr deutlich erlebt, psychisch und körperlich und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass jede Frau genug Kraft und Mut hat, diesen Schritt zu machen.

Hast Du Dich nach Deinem Expartner gesehnt und vielleicht sogar einen Neuanfang erwogen oder bist sogar zurückgekehrt?
Oder hast Du viel mit Gefühlen wie Wut, Verzweiflung, Eifersucht etc. kämpfen müssen?
Wie bist Du mit diesen Gefühlen und Situationen umgegangen? Wie konntest Du Dich wieder lösen?

Die Frage lässt sich kurz beantworten: Nein. Keine Sekunde, keine Minute, keinen Gedanken lang. Ich war nur unendlich erleichtert. Ich habe meine Therapie noch 5 Jahre fortgesetzt, das war sinnvoll und hilfreich.

Ich habe lange gebraucht, die Beziehung zu beenden, viel zu lange, aber dann habe ich es wirklich „von Herzen“ getan. Ich kann meinen Expartner heute als Vater der Kinder akzeptieren, auch wenn ich nicht alles befürworte, was er tut. Mehr nicht. Da bin ich auch relativ deutlich ihm gegenüber. Eine andere Sprache versteht er nicht. Telefonate beende ich sofort, wenn sie von den Kinderthemen abgleiten. Emotional so viel Distanz zu bekommen, ist nicht ganz einfach und dauert, aber es geht. Wenn dich die emotionalen Zustände deines Ex nicht mehr berühren, hast du gewonnen. Er kann mich nicht mehr provozieren, auch wenn er es oft versucht, und er kann mich nicht mehr verletzen, was er auch oft versucht. Zwischen uns gibt es einen elementaren Unterschied: Ich lebe mein Leben gern und mich interessiert vor allem das Jetzt und die Zukunft. Da kommt er nicht vor. Er kann nicht loslassen und hängt in der Vergangenheit fest, mit allen Konsequenzen. Das tut mir leid für die Kinder, die davon natürlich auch einiges abbekommen, aber ich kann es nicht ändern. Und sie sind schlau. Und stark. Und sie haben mich. Und ihre Großeltern. Darauf baue ich.

Wie fühlst Du Dich heute?

Großartig. Ganz einfach. Ich habe meinen Job, ich habe die Kinder, ich habe neue Freunde (die „alten“ sind mit der Ehe zerbrochen) und all meine Hobbies wieder aufgenommen, die mir im Lauf der Ehe verloren gegangen sind. ich habe den unschätzbaren Vorteil, mir finanziell keine großen Sorgen machen zu müssen. Dafür habe ich und meine Anwältin hart gekämpft und das zahlt sich aus.

Ich kämpfe natürlich wie Don Quichotte mit all den Unbillen des Alltags, mit denen Mütter so kämpfen, alleinerziehende noch mehr. Mit dem Stress, mit den Terminen, den Verpflichtungen, schier unlösbaren Kinderbetreuungssituationen, einem vollgestopften Terminplaner, mit der Erschöpfung, dem kaputten Auto, der Steuererklärung, den handwerklichen Super-Gaus, den unkalkulierbaren Launen eines Achtjährigen, den Latein-Schulaufgaben eines Zwölfjährigen etc. etc. Manchmal bin ich müde und genervt und überfordert, wie jede andere Mutter auch. Ich genieße dennoch jeden Tag und ich habe gelernt, meine eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen und auch mal vornean zu stellen. Ich habe gelernt, mir Unterstützung zu holen, wenn ich sie brauche und das auch klar zu kommunizieren. Ich habe gelernt, nein zu sagen und manchmal auch einfach ja, wo andere Mütter vielleicht pädagogisch wertvoll nein sagen würden ;-). Ich habe gelernt, dass meine Kinder selbstständiger und verantwortungsbewusster sind, als ich es ihnen zugetraut hätte, weil sie es manchmal einfach sein müssen. Ich habe gelernt, dass manche Erziehungs-Regeln entbehrlich sind, weil sie mich überfordern würden und ich eigentlich keinen großen Wert darauf lege. Ich habe gelernt, dass Humor das beste Erziehungsmittel ist und nie irgendwas nach Plan läuft. Ich habe vor allem gelernt, dass das Leben schön ist, aufregend und jeden Moment lebenswert und ich dazu keinen Mann brauche. Ich bin einfach dankbar dafür, dass wir noch leben, das Drama nicht zu Ende gespielt wurde und jeden Tag genießen dürfen.

Was sind Deine wichtigsten Tipps für Frauen, die in einer ähnlichen Situation sind?
Was brauchen Frauen aus Deiner Sicht, um sich aus einer Gewaltbeziehung zu befreien und was hilft ihnen dabei?

Was eine Frau braucht, um einen Gewaltbeziehung zu beenden? Den Willen, sie zu beenden. Und die Überzeugung, dass sie in der Lage ist, sie zu beenden. Zunächst nicht mehr. Der Weg dahin kann länger oder kürzer sein, das weiß niemand. Niemand steigt auf einen 4000er ohne den Willen, diesen Berg zu bezwingen und zumindest die Hoffnung zu haben, das auch zu schaffen. Und niemand tut das spontan in Flipflops und ohne Reiseproviant..

Deshalb eine „Ausrüstungsliste“ hier:

DENKE ! Nimm zur Kenntnis, dass du in einer Gewaltbeziehung lebst. Auch wenn du einen Uniabschluss und einen Doktortitel hast. Höre auf, Übergriffe zu entschuldigen. Höre auf, dir einzureden, es wird sich ändern. Sei ehrlich mit dir selbst. Du brauchst nicht handeln, wenn du nicht willst. Aber traue dich, wieder zu denken!

„Ich lebe in einer Gewaltbeziehung“. „Ich erlebe hier häusliche Gewalt“.

Wenn du den Gedanken zulassen kannst, hast du den ersten Schritt geschafft.

REDE ! Gedanken werden klarer dadurch, dass man sie ausspricht und versucht, sie zu „ordnen“. Verlass dich nicht auf deinen eigenen Kopf. Er redet dir ein, dass du das nicht darfst, nicht kannst, nicht schaffen wirst, dich schämen solltest, der Kinder zuliebe aushalten solltest. Er redet dir ein, dass alles gar nicht so dramatisch ist und du falsch liegst. Dein Kopf betrügt dich, aber du merkst es nicht. Verlasse dich nicht auf deine Realitätswahrnehmung, sondern suche dir ein Korrektiv. Teste aus, wie andere auf deine Geschichte reagieren. Anonym wenn du magst. Hilfsangebote gibt es genügende, leider keine dafür, wie man die Nummer ins Handy tippt und ein Gespräch beginnt … Das musst du alleine schaffen. Oder eine Freundin ins Vertrauen ziehen, einen Therapeuten suchen, … Rede egal mit wem! Höre dir an, wie andere das Ganze sehen. Du musst ihre Meinung ja nicht teilen. Reden ist nicht handeln. Du musst nichts verändern. Du kannst reden und alles so lassen, wie es ist. Das ist deine Entscheidung. Du bist ein freier Mensch, niemand zwingt dich, etwas zu tun.

PLANE ! Selbst wenn die Idee einer Trennung immer noch realitätsferner aussieht als eine Reise zum Mond und dir im Vergleich der 4000er eher nach einem Spaziergang aussieht, mache einen „Notfallplan“. Packe eine Tasche mit den wichtigsten Dingen für dich und die Kinder. Speichere die wichtigsten Nummern in dein Handy. Leg dir notfalls ein zweites Handy zu, auf das dein Partner keinen Zugriff hat. Erkundige dich nach guten Rechtsanwälten. Versorge dich mit genug Bargeld. Besorg dir einen Ersatzschlüssel für das Auto. Schiebe zur Abwechslung mal alle emotionalen Nebel beiseite und plane rational. Planen ist nicht handeln, aber es beruhigt ungemein. Es kann dein Leben retten und das deiner Kinder.

SCHAFFE DISTANZ ! Lass dir nicht von deinem Partner den Kopf verdrehen. Glaube nichts, was er sagt. Und wenn es noch so „überzeugend“ klingt. Versuche, zu durchschauen, wie er dich manipuliert und nach welchem Schema die Eskalationen funktionieren. Versuche, die Perspektive zu wechseln und die Situation zu verstehen. Betrachte das Ganze „von außen“, wann immer dir das möglich ist Du brauchst nichts zu tun, nichts zu ändern. Nur Beobachten.

TRÄUME!

Träume von den glücklichen Zeiten deines Lebens, ohne Angst, ohne blaue Flecken, ohne Terror, ohne ihn. Erinnere dich daran und überprüfe, wie weit du davon entfernt bist … Das Leben ist nicht dafür gemacht, auszuhalten, Angst zu haben und verzweifelt zu sein. Und du weißt das, weil du glücklichere Zeiten schon erlebt hast und wieder erleben wirst. Träume ! Stell dir das Leben vor, das du haben willst. Genieße das Gefühl. Keiner zwingt dich, etwas zu tun. Wenn dir das Träumen reicht, lass es erst mal dabei.

HANDLE ERST, WENN DER RICHTIGE ZEITPUNKT DA IST. DU WIRST ES WISSEN UND DU WIRST ES KÖNNEN.

 

Vielen Dank, Karin!!!

Dieses Interview ist Teil einer Serie. Ich befrage Frauen, die Gewalt in einer Partnerschaft erlebt haben und bitte sie darum, ihre Erfahrungen und Bewältigungsstrategien zu schildern. Die Interviews sollen anderen Frauen Mut machen, die in einer ähnlichen Situation sind. Außerdem sollen sie aufklären, wie eine solche Beziehung überhaupt zustande kommen kann und wie sie sich entwickelt.

Jede vierte Frau erlebt häusliche Gewalt.
Partnerschaftsgewalt ist keine Privatsache.
Gewalt geht jeden etwas an.

Wenn Du auch Deine Geschichte erzählen möchtest, um anderen betroffenen Frauen zu helfen, wende Dich über mein Kontaktformular an mich. Eine Veröffentlichung kann gern auch anonym erfolgen. DANKE!


Bild: Pixabay, AlexVan

1 Kommentar

  1. Schluck! So ein Ende hatte ich auch. Ich musste noch genau 2x in die gemeinsame Wohnung, 1x um was zu holen, wobei mir wirklich zum allerersten Mal die Knie schlotterten und ich somit zum wirklich realisiert hab, in was für einer Panik ich in den letzten Monaten zugebracht habe und beim 2.Mal den Blitzauszug mache musste.
    Bis heute. ….unbezahlbar, dieses Gefühl, was alles geschafft hab. Wie die Kinder aufleben. Lieber bisschen Chaos und lachen, als jemals wieder unfrei in Zwängen, auferlegt von Außen durch den kranken Ehemann, zu leben.
    LG Eva

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