Die Frau, die ihn wirklich liebt Erfahrungen mit Gewaltbeziehungen

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Möchtest Du wissen, wie andere Frauen sich aus einer Beziehung lösen konnten, in der sie Gewalt erlebt haben? Oder möchtest Du wissen, wie sich eine solche Partnerschaft entwickelt und warum eine selbstbewusste Frau zunächst sogar häufig bei ihrem gewalttätigen Partner bleibt? Wie geht es einer Frau, die solch schwierige Erfahrungen hinter sich hat? Wie sieht ihr Leben danach aus?

Silvia (58) ist heute freie Autorin und hat schon als kaufmännische Angestellte, Flugzeugexpertin, Betriebsrätin, Journalistin und Musikerin gearbeitet. Sie hat drei leibliche Kinder, von denen eines früh verstorben ist, und zwei Stieftöchter. Wie sie erleben einige Frauen immer wieder Wiederholungen von gewaltvollen Beziehungsmustern. Daraus hat sie am Ende wichtige Erkenntnisse gewonnen. Silvia beschreibt ihre Geschichte frei, ohne sich an meinem üblichen Interviewraster zu orientieren.

Bitte beachten: Teile des Interviews können triggern, da Gewalterfahrungen geschildert werden.

Der 1. Mann: gross und attraktiv

Meinen ersten Ehemann traf ich, als ich 18 Jahre alt war. Mein Selbstbewusstsein speiste sich damals nur aus schulischen und beruflichen Erfolgen. Als Frau hatte ich so gut wie keines. Ich war (und bin) der pummelige Frauentyp. Meine Eltern hatten mir immer vermittelt, dass ich unattraktiv für Männer wäre, es sei denn, diese wollten „nur das Eine“ von mir.
Mein erster Ehemann gab mir am Anfang das gegenteilige Gefühl. Er fand mich sehr anziehend, war stolz auf mich und gab mit mir an. Er selbst war ein großer, attraktiver Mann aus Kenia, den es nach Hamburg verschlagen hatte. Unsere Beziehung war sehr davon geprägt, dass ich die Lernende war. Im Bestreben, alles richtig zu machen, belas ich mich über Kenia, konvertierte zum Islam. Ich ordnete mich ihm komplett unter; dies erwartete er aber auch.
Allerdings lastete auf mir nach und nach die gesamte finanzielle Last, die eine Familie mit sich bringt. Ich kam beruflich voran, managte die Betreuung der beiden Kinder, während er immer weniger arbeitete, jeden Job „versiebte“.
Mein Angebot, er könne als Hausmann die Kinder betreuen, damit wir wenigstens die 900DM im Monat für die Tagesmutter sparen, lehnte er rundweg ab. Er sei keine Hausfrau. Punkt.

Mit den wachsenden Belastungen und der Verantwortung, die ich trug, wuchs mein Widerspruchsgeist. Wir gerieten immer öfter in Streit. Ich hatte naturgemäß die besseren Argumente. Verlieren konnte er nicht. Er begann, mich zu schlagen.
Hier nun passierte etwas ganz Furchtbares. Anstatt mich sofort zu trennen, hielt ich aus. Meine Eltern hatten mit mir gebrochen, wegen meiner Heirat und er hatte im Laufe der Jahre dafür gesorgt, dass ich keinen Freundeskreis mehr hatte. Ich war ganz allein, isoliert und wollte auch nicht allen Unkenrufern Recht geben, dass so eine Ehe nicht funktionieren kann. Und ich wollte den Kindern nicht den Vater nehmen.
Er nun belog und betrog mich unablässig und setzte mich persönlich sehr herab. Ein Satz, den ich noch erinnere. Lautete: „Where you will go and who will take you now? You have no price in the market any more!“
Als er eines Abends meinen damals 4jährigen ältesten Sohn schlagen wollte, war endlich Schluss. Ich verhinderte dies, kassierte die Prügel stellvertretend ein. Am nächsten Morgen brachte ich die Kinder weg. Meine Tagesmutter sorgte dafür, dass sie in der Trennungsphase woanders wohnen konnten. Ich suchte einen Anwalt auf und reichte die Scheidung ein. Unterstützung hatte ich von meiner Tagesmutter und meinem Chef.
Mein Mann tobte, schlug mich grün und blau. Nach der Scheidung verließ er das Land, um keinen Unterhalt zahlen zu müssen.

Der 2. Mann: ruhig und friedlich

Mein zweiter Mann schien das Gegenteil des ersten zu sein. Ein ruhiger Handwerker, friedlich und kein Blender.
Er gab sich kaum Mühe um mich, schien mich aber auf eine zurückgezogene Weise zu lieben. Mit seinem kleinen Ein-Mann-Betrieb ging es in den Folgejahren immer mehr bergab. Er weigerte sich, angestellt zu arbeiten, weil er sich nichts sagen lassen wollte. Ich fing finanziell das Desaster auf, so gut ich konnte, was auch ging, weil ich beruflich weiter vorankam. Er flüchtete sich in den Alkohol.
Um meine damals pubertierenden Söhne kümmerte er sich überhaupt nicht.
Wir zogen schon lange nicht mehr an einem Strang, als er mich während eines Urlaubes, an dem er nicht mitkommen wollte, betrog. Seine Begründung dafür war: „Ich habe mich zum ersten Mal in meinem Leben verliebt.“ Ich habe noch ein Jahr lang versucht, meine Ehe zu retten, aber er zeigte mir, dass ich ihm nichts mehr wert war. So schloss er z.B. eine Spülmaschine nicht an, die ich gekauft hatte, verbot mir aber auch, sie selbst anschließen zu lassen, damit ich weiter per Hand spülen musste. Als ich ihn verließ, vergingen keine drei Tage, und die Maschine war angeschlossen.

Der 3. Mann: nett und zuvorkommend

Mein dritter Mann war auch ein anscheinend ruhiger Typ. Im Gegensatz zu meinem zweiten trank er nicht. Ich fühlte mich sicher. Er war der erste meiner Männer, der mir ab und zu nette Briefchen schrieb und mir schöne Dinge sagte. Beruflich hatte er wenig Erfolg als selbständiger Gärtner, aber er lag mir wenigstens nicht auf der Tasche. Im Laufe der Jahre aber nörgelte er zunehmend an mir herum und verlangte immer mehr Raum für sich. So war am Ende der Beziehung die Wohnung, das Essen, die Temperatur, das Fernsehprogramm nach seinen Wünschen gestaltet. Er schien äußerlich sanft, hatte aber mein Harmoniebedürfnis dazu genutzt, mich schleichend bis in Kleinste zu dominieren. Ich erkannte dies recht spät und trennte mich von ihm. Er verstand die Trennung nicht und warf mir vor, ich hätte meine Bedürfnisse durchsetzen müssen, zur Not mit Schreiereien.

Der 4. Mann: fröhlich und gebildet

Mein vierter Mann war ein fröhlicher Macher, mitten im Leben. Akademiker an der Universität. Wir hatten am Anfang sehr viele schöne Erlebnisse zusammen. Auch diesmal passte ich mich von Anfang an in allem ihm an. Er war der umgänglichste Mann, solange es nach ihm ging. Dies wusste ich und verhielt mich entsprechend. Mit den Jahren aber verlangte er immer mehr. So wollte er schließlich, dass ich eine Nebenfrau dulde, mit der er mich schon 3 Jahre lang betrogen hatte. Dies lehnte ich ab und verließ ihn. Heute wirft er mit vor, ich sei Schuld an allem, sogar dass er ebendiese Nebenfrau jetzt heiraten „müsse“, da ich ihn ja verlassen habe.

Mein Fazit

Es hat sehr lange gedauert, bis ich das gemeinsame Muster dieser Beziehungen erkannte. Geholfen hat mir dabei vor allem das sehr bittere Ende meiner letzten Ehe. Ich war am Boden zerstört, nahm mir aber endlich die Zeit, gründlich darüber nachzudenken, warum sich meine Geschichte der Erniedrigung mit wechselnden Hauptdarstellern immer wiederholt. Ich habe mir eine Liste gemacht und aufgeschrieben, was den Männern gemeinsam war und welche Verhaltensweisen ich immer wiederholt hatte. Und so fand ich Folgendes heraus:

Mein Anteil an der Entwicklung dieser Beziehungen war, dass ich mich von Anfang an viel zu sehr angepasst hatte, aber gleichzeitig als Hauptverdienerin und Mutter eine Stellung hatte, die nicht dazu passte.

Mein ältester Sohn meint heute, ich sei eben der Typ gewesen, der Männer gerne „resozialisiert“. Allen meinen Männern war gemeinsam, dass sie weder Beziehungserfolge noch soziale oder berufliche Erfolge hatten. Ich schlüpfte nur zu gern in die Rolle der „ersten Frau, die dich wirklich liebt“ und auch der ersten Frau mit ausreichend Sozialkompetenz, um diese Männer „wieder auf die Füße zu stellen“. Das nun gelang mir, aber mit anderen Ergebnissen, als ich erhoffte hatte.
Ich erwartete LIEBE dafür und wurde natürlich enttäuscht, weil keiner meiner Männer in der Lage oder willens war, mir Liebe zu geben. Die hatten alle genug mit sich selbst zu tun. Heute denke ich, das war von meiner Haltung her auch ziemlich arrogant. Ich hatte mich auch immer als Gebende definiert, weil ich sicher war, mehr drauf zu haben.

Dazu kam eine Hypothek, die ich mitbrachte:
Ich war von zu Hause aus mit der Vorstellung aufgewachsen, dass mein Lebenserfolg auch davon abhängt, dass ich es schaffe, einen Mann an mich zu binden. Singlefrauen galten bei meinen Eltern als Versagerinnen.
Diese Vorstellung hatte ich nicht hinterfragt, sondern übernommen. Als Ehefrau fühlte ich mich komplett. Das fühlte sich richtig an und dafür war ich bereit, körperliche und seelische Gewalt zu ertragen. Ich bin tatsächlich seit meinem Auszug von zu Hause nie länger als vier Wochen Single gewesen.

Heute, mit 58 Jahren, weiß ich endlich, dass ich als Single ganz wunderbar leben kann. Ich brauche keinen Mann mehr, um mein eigenes Bild eines erfolgreichen Lebens zu erfüllen. Falls mir doch noch einmal ein Mann passieren sollte, bin ich nunmehr sicher, dass ich von Anfang an ganz ich selbst bleiben möchte und die Beziehung nicht um jeden Preis führen werde. Vor allem sehe ich heute Menschen nicht ausschließlich durch meine Erwartungsbrille, sondern bemühe mich darum, sie genau so anzuerkennen, wie sie sich mir präsentieren.
Das muss reichen 🙂

Vielen Dank, Silvia!!!

Dieses Interview ist Teil einer Serie. Ich befrage Frauen, die Gewalt in einer Partnerschaft erlebt haben und bitte sie darum, ihre Erfahrungen und Bewältigungsstrategien zu schildern. Die Interviews sollen anderen Frauen Mut machen, die in einer ähnlichen Situation sind. Außerdem sollen sie aufklären, wie eine solche Beziehung überhaupt zustande kommen kann und wie sie sich entwickelt.

Jede vierte Frau erlebt häusliche Gewalt.
Partnerschaftsgewalt ist keine Privatsache.
Gewalt geht jeden etwas an.

Wenn Du auch Deine Geschichte erzählen möchtest, um anderen betroffenen Frauen zu helfen, wende Dich über mein Kontaktformular an mich. Eine Veröffentlichung kann gern auch anonym erfolgen. DANKE!


Bild: Pixabay, ju_sajjad0

1 Kommentar

  1. Das Thema Gewalt an Frauen ist so komplex und die Betroffenen leiden oft jahrelang, auch nach Ende der Beziehung.
    Man kann es eigentlich nicht oft genug thematisieren.
    Und jedes Mal, wenn ich so eine Geschichte lese denke ich: zum Glück bin ich nicht alleine.
    Deswegen – danke für diesen Beitrag!

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