Jeder Schritt zählt Erfahrungen mit einer Gewaltbeziehung

InBeziehungsgewalt, Interview, Krise, Partnerschaft, Trennung
herunterscrollen

Möchtest Du wissen, wie andere Frauen sich aus einer Beziehung lösen konnten, in der sie Gewalt erlebt haben? Oder möchtest Du wissen, wie sich eine solche Partnerschaft entwickelt und warum eine selbstbewusste Frau zunächst sogar häufig bei ihrem gewalttätigen Partner bleibt? Wie geht es einer Frau, die solch schwierige Erfahrungen hinter sich hat? Wie sieht ihr Leben danach aus?

Lena* (27) hat eine abgeschlossene Ausbildung und danach Abitur gemacht. Sie hat drei Kinder (6, 3 und 2 Jahre alt), die bei ihr leben und für die sie „jeden Tag auf’s Neue“ sehr, sehr dankbar ist.

Bitte beachten: Teile des Interviews können triggern, da Gewalterfahrungen geschildert werden.

Wie war das Verhältnis zu Deinem Partner am Anfang, als Ihr Euch kennengelernt habt?

Am Anfang unserer Beziehung war ich ein naives, nach einem verlässlichen Fixpunkt suchendes Mädchen von gerade mal 19 Jahren. Ich war gerade frisch getrennt und lebte bei meiner Mutter. Ich fühlte mich dort nicht willkommen und schlief auf einer Luftmatratze im Wohnzimmer.

Wie hat sich die Beziehung im Laufe der Zeit entwickelt?

Er wirkte auf mich, wie eine strahlende Erscheinung, war charmant, witzig, zuvorkommend. Erst schrieben wir unzählige Kurznachrichten und trafen uns zweimal, wobei er es tunlichst vermied, mich zu sich nach Hause einzuladen, obwohl er, wie ich dachte, zu diesem Zeitpunkt alleine lebte. Tatsächlich war er aber noch mit meiner Vorgängerin zusammen. Ich lief ihm hinterher wie ein Hündchen, auf der Suche nach Liebe. Seine Ex hatte ihn kaum verlassen und schon wenige Tage später nahm ich ihren Platz ein. Als ich von seiner Zwei-Gleisigkeit erfuhr, war ich zunächst gekränkt, aber ich verzieh ihm und zog noch im selben Monat bei ihm ein. Ich vernachlässigte die Schule, die ich damals besuchte und jobbte nebenher, um Geld zu verdienen.

Unsere Beziehung fand immer nur dann statt, wenn ihm der Sinn danach stand und ich mich, seiner Meinung nach, angemessen verhielt. In der Zwischenzeit hatte ich mich ruhig zu verhalten, von Anfang an. Auch begann er mich sofort mit Sätzen, wie „Du siehst klasse aus, aber mit 20kg weniger wärst du echt geil“, oder ähnlichem klein zu halten.

Ich wurde schwanger mit unserem ersten Kind noch bevor ich mein Abitur in der Tasche hatte. Von diesem Tag an war ich von seinem Wohlwollen vollkommen abhängig. Er übernahm die finanzielle Kontrolle. Als ich mein Bankkonto verlor, musste ich um jeden Cent betteln und für jede Ausgabe Rechenschaft ablegen, noch bevor wir ein Jahr zusammen waren, weil ich unbemerkt immer tiefer in eine Depression glitt.

Die Maske des Prince Charming verlor sich, im Nachhinein betrachtet, relativ schnell. Wir waren noch keine fünf Monate zusammen, als er mir mit körperlicher Gewalt klar machte, dass ich mir mit ihm nicht das geringste harmlose Späßchen erlauben konnte, während er mit mir nach Belieben verfahren durfte. Er bestimmte von da an über mein Leben. Ich hatte im Sinne der 1950er-Jahre Geschlechteraufteilung Kind und Haushalt zu versorgen und nebenbei erst Abitur zu machen und später arbeiten zu gehen, während er selbst möglichst unbehelligt davon bleiben wollte. Einerseits ließ er mir augenscheinlich Entscheidungsfreiheit, während ich andererseits im Nachhinein für meine Entscheidungen bodenlos kritisiert wurde. Jeglicher soziale Kontakt zu Familie oder Freunden durfte nur mit seiner ausdrücklichen Genehmigung stattfinden, ansonsten hatte ich mit Liebesentzug zu rechnen. Als ich später mit Zwillingen schwanger wurde, forderte er erst eine Abtreibung, die er dann doch bekommen wollte und als ich die Babys dann doch verlor, beschuldigte er mich, dass ich niemals schwanger gewesen war.

Wir zogen 300 Kilometer weit weg, weil er seines Jobs überdrüssig wurde. Ich gehorchte und richtete unser Leben um seine Bedürfnisse herum ein. Wir bekamen ein weiteres Kind. 3 Wochen nach dessen Geburt fanden die ersten, mir bewussten, sexuellen Übergriffe statt. Wir zogen wieder um und jeder Versuch den Kinder und mir ein soziales Umfeld aufzubauen wurde torpediert. Wir hatten ganz und gar für ihn da zu sein. Unser ältestes Kind durfte, zum Schluss, nach dem Abendbrot nicht mal unwillig schnaufen, wenn viel zu früh Zähne putzen angeordnet wurde und das Jüngste wurde mit Klapse auf den Po für die ersten zarten Ausbrüche der Autonomiephase gerügt, während ich kurz davor war, mich in eine geschlossene Einrichtung zu begeben.

Zu welchem Zeitpunkt hast Du die Gewalt klar erkennen können?

Es war für mich sehr schwer, meinen gelebten Alltag mit den Worten „häusliche Gewalt“ oder „psychische Gewalt“ in Relation zu bringen, da mein Ex nicht der erste Mensch in meinem Leben ist, bei dem ich eine narzisstische Persönlichkeitsstörung vermute. Meine Mutter hat die Diagnose, seit ein paar Jahren. Bei deren Mutter vermute ich es und dann gab es auch noch meine Stiefmutter, die Schneewittchens „Böse Königin“ vor Neid erblassen lassen würde, bei der ich einige Jahre gelebt habe. Ich habe mir die grundlegenden Muster meiner Kindheit in Form meines Ex wieder gesucht, weil sie mir ein gewisses Maß an Sicherheit boten, weil sie vertraut waren.

Wie bist Du mit dieser Erkenntnis umgegangen?

Letztlich wusste ich schon nach etwas mehr als einem Jahr, dass etwas nicht stimmte . Ich unternahm im Lauf der fast 7 Jahre mehrere Trennungsversuche, bevor ich im letzten Jahr endgültig den Absprung geschafft habe. Zunächst war ich, Anfang des letzten Jahres, eher zufällig über einen „Pin“ auf Pinterest gestoßen, der mich mit seinem Titel „Fühlen Sie sich in Ihrer Beziehung, als würden Sie auf rohen Eiern laufen“ ansprach. Ich las einschlägige Seiten, wie re-empowerment.de und sammelte Informationen. Weil einige vorangegangen Versuche die Beziehung zu retten gescheitert waren und vorsichtige Versuche meinerseits meinem Ex Nahe zu bringen, dass er etwas an sich ändern sollte, in stundenlangen Monologen über meine Verfehlungen endeten, hatte ich zu diesem Zeitpunkt eigentlich jegliche Hoffnung auf Besserung verloren. Gleichzeitig wollte ich die Kinder nicht aus ihrem gewohnten und lieb gewonnenen Umfeld reißen und ich mein Selbstwertgefühl war mehr als im Keller. So begann ich zusätzlich zu den drei Kindern, Haus und Garten auch wieder zu arbeiten, aber genau diese Arbeit brachte mir die Rückmeldungen, die ich brauchte um mein Selbstvertrauen soweit wieder aufzubauen, dass ich einen Auszug überhaupt in Erwägung zog.

Wann war für Dich klar, dass nur noch eine Trennung möglich ist und wer oder was hat Dir bei der Entscheidung geholfen?

Die Entscheidung, wirklich zu gehen, fiel für mich, als meine Oma, die Mutter meines Vaters, im Sterben lag. Ich wollte, die Frau die der für mich liebevollste Mensch meines Lebens war, unbedingt noch einmal sehen. Doch als ich mich seiner üblichen Taschenkontrolle entzog, weil er mit eigenen Augen sehen musste, wie viel Geld ich noch in bar hatte, brach ein unglaublicher Abend herein. Er schloss mich aus dem Haus aus, als ich noch schnell Wasser kaufen war. Er hielt mir wieder stundenlang einen Monolog darüber, wie schlecht ich doch war und wie arm er dran ist ungeachtet der Tatsache, dass es mir zu diesem Zeitpunkt emotional mehr als schlecht ging. Es ging ausschließlich um ihn. Am nächsten Morgen tat er dann so, als wäre nichts gewesen und wir sind gemeinsam in den Ort meiner Kindheit gefahren und ich konnte mich von meiner Oma verabschieden. Als wir uns aber im Anschluss kurz mit meinem Vater und dessen Lebensgefährtin trafen, war mein Ex der personifizierte „liebende und verständnisvolle Ehemann und Vater“, so das ich mich am liebsten zu seinen Füßen übergeben hätte.

Die Beerdigung zwei Wochen später, war dann nur noch die Bestätigung meiner Entscheidung, ich suchte zu dem Zeitpunkt nur noch nach einer praktikablen Lösung und hatte einen Beratungstermin beim örtlichen Frauenhaus, ein paar Tage später. Meine Kinder sollten nie wieder so vollkommen verängstigt auf meine Familie treffen. Sie sollten endlich Kinder sein dürfen. Mein Vater spielte im gesamten Prozess eine entscheidende Rolle, auch das er sich im Jahr zuvor erfolgreich von meiner Stiefmutter getrennt hatte und jetzt eine umwerfende Frau an seiner Seite hat, half mir, all meinen Mut zusammen zunehmen. Ich war fest entschlossen, ebenfalls meiner persönlichen Hölle zu entrinnen und ein komplett neues Leben zu erschaffen.

Wie hast Du die Trennung vollzogen?

Unser Weg führte uns zunächst für einige Monate in ein Frauenhaus in einer anderen Stadt, weil ich dort familiären Anschluss habe. Anders als am letzten Wohnort. Für die Kinder war es eine enorme Umstellung und wir befinden uns mitten im Verarbeitungsprozess, aber mir gibt die räumliche Entfernung zum Ex eine enorme Sicherheit. Ich will ihm nicht, beim Gang zum Bäcker über die Füße laufen können. Inzwischen konnten wir auch in eine eigene Wohnung ziehen und unser Leben für uns einrichten. Der Ex versucht immer noch über die Kinder wieder Macht über mich zu gewinnen. Aber die Mitarbeiter aus dem Frauenhaus und inzwischen eine wundervolle sozialpädagogische Familienhilfe unterstützen mich liebevoll dabei, bei mir zu bleiben und meinen Weg zu gehen. Auch bei den Ämtern, insbesondere beim Jugendamt, bin ich immer auf ein offenes Ohr gestoßen und wurde bestärkt und unterstützt.

Wie ging es Dir in der Zeit nach der Trennung?

Mein Kraftanker, meine Glückstankstelle sind meine Kinder. Anfangs waren sie meine Hauptmotivation mich aufzurappeln und weiter zu kämpfen. Es war an manchen Tagen sehr hart. Durch die jahrelange Manipulation meiner Wahrnehmung, vertraute ich meiner inneren Stimme nicht mehr und fühlte mich haltlos. Da hat das Frauenhaus schon einen sehr großen Teil abgefangen und mir geholfen mich ein stückweit wieder zu finden. Aber es ist ein Prozess der andauert und wohl noch eine Weile dauern wird. Ich habe meine Lebensfreude wieder entdeckt. Ich möchte studieren gehen. Das tun, was mir mein Ex Jahre lang wie eine Karotte vor die Nase hing. Ich lebe endlich wieder mit all meinen Sinnen.

Hast Du Dich nach Deinem Expartner gesehnt und vielleicht sogar einen Neuanfang erwogen oder bist sogar zurückgekehrt?
Oder hast Du viel mit Gefühlen wie Wut, Verzweiflung, Eifersucht etc. kämpfen müssen?
Wie bist Du mit diesen Gefühlen und Situationen umgegangen? Wie konntest Du Dich wieder lösen?

Oh ja, es gab diese Tage, da hab ich mich nach dem attraktiven Kerl gesehnt, den er am Anfang dargestellt hat. Ich muss gestehen, dass ich während des Umzuges vom Frauenhaus in mein eigenes Reich wieder kurzzeitig mit dem Ex geschlafen habe, weil ich unglaubliche Angst bekam. Ich fühlte mich plötzlich vollkommen allein gelassen und der Ex hat das sofort ausgenutzt. Doch er ist der, der er ist und ich habe schnell erkannt, dass es ihm nicht wirklich um ein Neuanfang geht.

Wie fühlst Du Dich heute?

Mein Leben lang, gab es eigentlich immer diesen einen Menschen, der mir sagte, was ich zu tun und zu lassen hätte. Mich selbst und meine eigenen Bedürfnisse und Wünsche kennen lernen ist ein sehr spannender Prozess. Das dann noch mit 3 Kindern zu koordinieren, ist eine echte Herausforderung. Aber endlich selbstwirksam zu sein und mir ein schönes, sinnerfülltes Leben aufbauen zu können, war jede Träne wert. Natürlich ist all das nicht spurlos an den Kindern und mir vorbei gegangen und wir üben uns in Aufarbeitung, aber ich scheue nicht davor, mir die nötige professionelle Unterstützung zu holen, oder die Kinder an schlechten Tagen etwas mehr fernsehen zu lassen, als sonst. Ich gehe offener auf Menschen zu und nehme mir dafür auch öfter Mal die Freiheit heraus „Nein“ zu sagen, wo ich früher mit Magengrummeln „Ja“ gesagt hätte, um andere nicht zu enttäuschen. Ich bin inzwischen auch wesentlich lösungsorientierter und klarer.

Was sind Deine wichtigsten Tipps für Frauen, die in einer ähnlichen Situation sind?
Was brauchen Frauen aus Deiner Sicht, um sich aus einer Gewaltbeziehung zu befreien und was hilft ihnen dabei?

  1. Hab Geduld mit dir selbst. Ich habe zehn Trennungsversuche plus einen Rückfall gebraucht, um wirklich aus dieser Beziehung raus zu sein. Eine lange Zeit und doch habe ich es geschafft.
  2. Sei nett zu dir selbst und füttere dein Selbstbewusstsein mit guten Sachen. Musik, Sport, Bewegung an der frischen Luft. Mir hat Yoga unglaublich gut geholfen.
  3. Informiere dich. Lies im Internet und in Büchern. Nicht nur über deine aktuelle Situation, sondern auch über Hilfen nach der Trennung.
  4. Schreib alles auf. Mir hat eine Liste mit allen miesen Begebenheiten mit dem Ex sehr geholfen, um mir zu verdeutlichen, wieviel ich bereits einfach hingenommen habe.
  5. Vertraue dich jemandem an. Wenn du nicht den Mut hast bei einer Beratungsstelle oder dem Frauenhaus anzurufen, dann gibt es tolle Foren, wo du deine Geschichte erzählen kannst, die Frauen dir zuhören und du eventuell ein Stück an Klarheit für dich gewinnen kannst.
  6. Jeder Schritt zählt und sei er noch so klein.

 

Vielen Dank, Lena!!!

Dieses Interview ist Teil einer Serie. Ich befrage Frauen, die Gewalt in einer Partnerschaft erlebt haben und bitte sie darum, ihre Erfahrungen und Bewältigungsstrategien zu schildern. Die Interviews sollen anderen Frauen Mut machen, die in einer ähnlichen Situation sind. Außerdem sollen sie aufklären, wie eine solche Beziehung überhaupt zustande kommen kann und wie sie sich entwickelt.

Jede vierte Frau erlebt häusliche Gewalt.
Partnerschaftsgewalt ist keine Privatsache.
Gewalt geht jeden etwas an.

Wenn Du auch Deine Geschichte erzählen möchtest, um anderen betroffenen Frauen zu helfen, wende Dich über mein Kontaktformular an mich. Eine Veröffentlichung erfolgt anonym. DANKE!

*Namen und Orte wurden zum Schutz geändert.


Bild: Pixabay, Pexels

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert