Scheitern „Ich bin eine Niete“

InAlleinerziehend, Familienbild, Inspiration, Muttermythos, Partnerschaft, Trennung
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Das Gefühl des Scheiterns begleitet mich durch mein Leben. Es ist für mich ein sehr unangenehmes Gefühl: Ein Gefühl, die Sache nicht im Griff zu haben, dem Leben ausgeliefert zu sein und irgendetwas ganz Wesentliches nicht verstanden zu haben. Erstaunlicherweise fühle ich mich sogar scheiternd, wenn ich eigentlich viel leiste und gut bin. Innerlich genüge ich nicht. Als ich mich von den beiden Vätern meiner Söhne trennte war das Gefühl des Scheiterns besonders groß, vor allem bei der ersten Trennung. Die Schuldgefühle meinem Sohn und auch meinem Expartner gegenüber waren immens. Bei der zweiten Trennung wusste ich schon eher, was auf mich zukommt. Die Entscheidung war viel bewusster. Dennoch: was ich meinen Söhnen antat mit diesen Entscheidungen, lastete und lastet auch heute noch besonders schwer, obwohl ich mir – zumindest bei der zweiten Trennung – sehr bewusst war, dass es keine Alternative gab.

Ich weiß nicht, ob Du, der/die Du das gerade liest, auch dieses nagende Gefühl des Scheiterns kennst. Wir haben keine Kultur des Scheiterns. Scheitern wird als etwas Negatives dargestellt, das auf jeden Fall zu vermeiden ist. Dabei ist Scheitern wichtig, um sich persönlich weiterzuentwickeln. Wer behauptet, keine Fehler zu machen oder sich nicht erlaubt zu scheitern, ist häufig auch nicht mutig oder nicht ehrlich zu sich selbst. Scheitern ist ein wesentliches Merkmal von Leben und Lebendigkeit. Es bringt mich ganz nah an dieses Gefühl heran, dass ich eigentlich nur wenig weiß, dass ich nur über Teile meines Lebens Kontrolle habe.

Als ich mich nach meiner letzten Trennung intensiver mit dem Gefühl des Scheiterns auseinandersetzte, merkte ich mehr und mehr, dass dieses Gefühl von inneren Bildern gesteuert wird. Diese inneren Bilder geben vor, was moralisch ist, wie eine Familie auszusehen hat, was Kinder brauchen, wie ein richtiges Leben aussieht, was echte Leistung bedeutet. Wenn man das bis zum tiefsten Grund untersucht, steckt die Botschaft dahinter, nur etwas wert zu sein, wenn man sich an bestimmte Regeln und an gesellschaftlich vorgegebene Muster hält. Der Selbstwert wird über Leistung und Anpassung bestimmt. Wenn bestimmte Hürden nicht geschafft werden, wenn Dein Leben einen Umweg macht, wenn Du merkst, dass Du im Standardmuster nicht glücklich wirst usw., wird der Stempel „gescheitert“ ganz schnell aus der Schublade geholt. „Gescheitert“ heißt dann gleichzeitig „weniger wert“ oder sogar „nichts mehr wert“.

Dass wir scheitern dürfen, ja, das Scheitern sogar wichtig ist, um zu lernen, erfährt in unserer auf Leistung getrimmten Gesellschaft kaum jemand – schon gar nicht Kinder. Wie sehr diese Denkmuster immer noch in mir lebendig sind, merke ich im Umgang mit meinen Kindern, im Umgang mit schlechten Noten usw. Sich selbst und den eigenen Kindern ein Scheitern einzugestehen, ist unendlich schwer. Und warum? Weil es Angst macht. „Ob wohl aus meinem Kind noch etwas wird, wenn er jetzt schon wieder so eine schlechte Mathe-Arbeit schreibt?“ „Ob ich jemals wieder glücklich sein kann, wo ich mich zum zweiten Mal getrennt habe?“ „Ob ich mir erlauben darf, einen mich quälenden Job abzulehnen? Danach bekomme ich bestimmt keinen mehr!“ „Ob ich eine Ausbildung abbrechen darf, die ich begonnen habe, obwohl ich schon Geld reingesteckt habe und mich trotzdem unwohl damit fühle?“

Dahinter steckt überall eine tiefe Angst, ja fast eine Existenzangst. Es ist, als ob mir meine Existenszberechtigung mit einem möglichen Scheitern entzogen wird.

Wenn ich nun aber alles tue, um ein Scheitern zu vermeiden, alles richtig machen möchte, nirgendwo anecke, mich verbiege für das gute Leben, verleugne ich mich selbst. Ich verliere mich. Und ich lebe nur halbgar. Ich gehe keine Risiken mehr ein, ich probiere nur noch wenig aus. Am Ende gestehe ich mir damit meine Lebendigkeit nicht zu.

Jetzt hilft das alles sicher wenig, wenn ich grad mitten drin stecke in meinem „Looser-Gefühl“. Mir hilft in solchen Momenten, den Looser völlig zu übertreiben und mich z.B. mit einer Freundin, die sich selbst immer wieder als Niete empfindet (natürlich ist das totaler Quatsch. In meinen Augen ist sie genial!), absichtlich in dieses Gefühl hineinzusteigern und offen darüber zu reden, wo man – seiner eigenen Ansicht nach – mal wieder überall versagt hat und „es nicht bringt“. Durch das offene Reden habe ich festgestellt, dass das nagende Gefühl sich verwandeln kann in Spaß und Humor. Mir hilft schon allein, dass ich mich nicht mehr allein fühle, dass ich weiß, meine Freundin empfindet das auch oft so. Wir haben uns sogar mal einen Spaß daraus gemacht, dass wir uns eingestanden haben, dass sich die Niete mit der Niete angefreundet hat. Sie bewundert mich und empfindet mich nicht als Niete. Ich bewundere sie und empfinde sie ebensowenig als Niete. Aber so ein Restanteil von mir denkt dann immer noch: „Wenn die wüsste, wie nietig ich wirklich bin, wäre sie sicher nicht mehr mit mir befreundet“. Als ich mich irgendwann mal getraut habe, ihr das offen zu sagen, mussten wir sehr lachen. Dieser Humor ist für mich ein Weg aus dem Gedankenkreiseln auszubrechen und bewusst zu sehen, wie absurd dieser Verurteilungs-Mechanismus in mir funktioniert. Gleichzeitig merke ich, wie befreiend und erleichternd es ist, wenn ich keine Fassade mehr aufrechterhalten muss vor mir selbst und anderen, wenn ich mich zeigen kann, mit all meinen Fehlern, Zweifeln und all meinem Scheitern. Je weniger Fassade ich aufrechterhalten muss, desto mehr Freiheit, Lebendigkeit und auch Nähe gewinne ich. Die meisten Menschen freuen sich, wenn ein anderer Mensch offen ist in all seinen Facetten.

Ich finde, wir leben heute in einer Zeit, in der wir sehr viele Freiheiten haben, sehr viele Möglichkeiten, wie wir leben können. Es gibt z.B. so viele Formen von Partnerschaft und Familie. Es gibt auch so viele Menschen, die sich entscheiden allein zu bleiben, ohne Familie. Von manchen wird das als ein Verlust von Werten dargestellt. Ich sehe das inzwischen anders. Wir dürfen uns unsere Werte und unsere Form zu leben selbst erarbeiten. Es gibt immer noch eine ganze Reihe von einschränkenden Rollenmustern, besonders wenn es um Familie geht. Aber wenn wir uns von diesen Rollenmustern frei machen, müssen wir in unserer Gesellschaft nicht mehr zwangsläufig damit rechnen, verfolgt und bestraft zu werden. Ja, wir erleben Ausgrenzung und die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hinken den Lebensrealitäten vieler Menschen weit hinterher. Dennoch sehe ich diese Entwicklung durchaus positiv.

Und dieser Entwicklung dürfen wir als Pionierinnen und Pioniere folgen. Wir dürfen uns unsere eigene Form von glücklichem Leben „zusammenstricken“. Dabei dürfen wir immer und immer wieder scheitern und den Weg ändern, den Faden verlieren und anderswo wieder aufnehmen. Es wird in jedem Fall ein ziemlich bunter Pullover.

Der Text wurde inspiriert von dem Blogbeitrag „Bauchgefühl“ von Tina.

„Scheitern“ von Enno Bunger


Bild: Pixabay, Hans

2 Kommentar

  1. super text… sehr ehrlich! da fällt mir ein, eine künstlerin sagte immer: malen und scheitern… beim malen kommt man auch immer an seine grenzen und – scheitert… dann fängt einfach nochmal an, malt drüber, beginnt ein neues bild oder etwas ganz neues entsteht aus dem gescheiterten… den song finde ich auch richtig gut, kannte ich noch gar nicht. viele grüße von ingrid 😉

    • Danke, Ingrid. Da fällt mir ein, dass ich mich dringend mal wieder bei Dir melden muss 🙂

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