Sichtbar werden als Alleinerziehende oder Opfer von Beziehungsgewalt

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Heute erscheint Christine Finkes Buch „Allein, alleiner, alleinerziehend“. Ich habe dieses Buch vorab von der lieben Christine erhalten (Danke, Christine!) und habe es am letzten Wochenende in einem Rutsch durchgelesen. Die für mich entscheidende Aussage dieses Buches ist: Wir müssen laut und sichtbar werden. Dies hier ist keine Rezension (von denen gibt es schon viele gute, z.B. von  Candy Bukowski und Patricia Cammarata – dasnuf), sondern ein Text, der von Christines Buch inspiriert wurde.

Immer und immer wieder werden Frauen – und besonders Mütter – zum Schweigen gebracht, die in schwierige Lebenssituationen geraten und unpopuläre Entscheidungen treffen: sei es, dass sie alleinerziehend werden, sei es, dass sie zusätzlich noch seelische oder körperliche oder sexualisierte Beziehungsgewalt erleben oder erleben mussten, sei es, dass sie sich selbst zu einer Trennung von einem Vater gemeinsamer Kinder entscheiden.

Christine schreibt: „Alleinerziehende sind irgendwie nicht sichtbar, sie werden ausgeblendet.“ Ähnliches geschieht mit Frauen, die Beziehungsgewalt erlebt haben. Es möchte keiner hören. Im ersten Moment ist da vielleicht eine Betroffenheit, dann ein betretenes und unsicheres Schweigen und am Ende kommt vorn oder hinten herum eine Bemerkung in der Richtung: Du hast selbst zu dieser Situation beigetragen. Du bist selbst Schuld. Zu einem Streit gehören immer zwei. Oder: Was tust Du Deinen Kindern damit an? Konntest Du nicht besser aufpassen bei der Wahl des Vaters? Oder: Warum bist Du denn nicht gleich gegangen?

Es scheint, als wolle sich niemand mit den ungeheuerlichen Ungerechtigkeiten der Situation vieler Mütter auseinandersetzen. Wenn sie offen reden, wird ihnen eine Opferhaltung vorgeworfen. Wenn sie über ihre unbehaglichen Gefühle sprechen, wenn die Kinder zu einem gewalttätigen Vater gehen, wird gefragt, ob sie sich das mit der Gewalt nicht ausgedacht haben, um die Kinder zu entziehen. Wenn sie stattdessen schweigen, wird gefragt, warum sie nicht rechtzeitig etwas gesagt haben und um Hilfe gebeten haben.

Egal, wie diese Frauen es drehen und wenden: sie machen es in den Augen vieler immer falsch. Schlimmer noch: sie sind einerseits an scheinbar allem allein Schuld und für alles verantwortlich. Andererseits wird ihnen vorgeworfen, dass sie zu viel jammern und sich passiv im Opferstatus suhlen. Bei Frauen, die Beziehungsgewalt erleben, kommt hinzu, dass sie mit großem Unverständnis rechnen müssen, wenn sie lange für eine Trennung brauchen. Dass da vielleicht große, gar lebensbedrohliche Ängste dahinterstecken, die sogar ihre Berechtigung haben, will niemand hören.

Viele Frauen haben diese Schuldgefühle und das Unbehagen, ein Opfer zu sein, so verinnerlicht, dass sie große Schwierigkeiten haben, sich Hilfe zu holen und zu reden. Viele dieser Frauen sind so geschwächt durch ihren anstrengenden Alltag oder ihre destruktive Beziehung, dass sie keine Kraft mehr finden, laut zu werden, sich bemerkbar zu machen. Das ist auch der Grund, warum nur wenige dieser Frauen und Mütter tätig und sichtbar werden in entscheidenden Positionen in Politik und Wirtschaft. Offen darüber zu reden, dass man eine von 1,6 Millionen Frauen ist, die ihre Kinder größtenteils allein erzieht, ist immer noch ein Tabu. Offen darüber zu reden, dass man selbst die vierte Frau ist, die Beziehungsgewalt erlebt oder erlebt hat, ist noch schwieriger.

Es gibt kein Klima von Mitgefühl und Verständnis gegenüber diesen Frauen und Müttern. Selbst ein einfaches Zuhören und Zur-Seite-stehen ist vielen nicht möglich. Ich vermute, dass es daran liegt, dass niemand sich auseinandersetzen möchte mit den Untiefen der Gefühle, des Lebens und der Beziehungen. Man fühlt sich bestenfalls hilflos. Schlimmstenfalls verurteilt man, damit man diese Erfahrungen nicht an sich heranlassen muss und damit man nicht sehen muss, wie nah jeder einzelne selbst an so einer Erfahrung ist.

Alleinerziehende Mütter erleben häufig, dass sie von Müttern gemieden werden, die noch in einer Beziehung sind. Es fühlt sich an, als hätten diese Frauen Angst vor der Möglichkeit, selbst einmal in dieser Situation zu sein oder Angst vor der Erkenntnis, dass ihre Partnerschaft auch nicht mehr funktioniert. Ich erlebe immer wieder, wie gnadenlos Mütter untereinander sein können, wie gern sie sich gegenseitig verurteilen für den anderen Lebensweg, für Arbeiten oder nicht Arbeiten, für Trennung oder Beziehung, für Einzelkind oder Vierfachkind, für „Fremdbetreuung“ oder Zuhause-mit-Kind. Dieser Mütterkrieg potenziert sich noch, wenn eine Alleinerziehende einer verheirateten Mutter gegenübersteht. Er potenziert sich auch, wenn die Alleinerziehende mit einer Stiefmutter konfrontiert wird und umgekehrt. Unendlich viel Energie wird in diesen Grabenkämpfen verschwendet, die viel wirkungsvoller solidarisch genutzt werden könnte. Stattdessen stellen sich derzeit einige Frauen an die Seite der angeblich so vernachlässigten Väter – gegen alleinerziehende Mütter.

Christines Buch ist wichtig, weil es die Realitäten der alleinerziehenden Frauen schonungslos offenlegt. Dennoch werden auch ihr wieder viele Jammern vorwerfen. Da bin ich mir sicher. Aber das Signal ist äußerst bedeutsam, denn neben den Frauen sind umso mehr Kinder von diesen ungerechten Lebensrealitäten betroffen. Viele dieser Frauen machen ihre Probleme mit sich allein aus. Viele dieser Frauen werden erleichtert sein, wenn sie z.B. lesen, dass auch eine andere Frau die schwierige Situation kennt, krank allein mit den Kindern zu sein. Viel wichtiger ist aber, dass auch Menschen dieses Buch lesen, die selbst nicht in dieser Lebenssituation sind, und dadurch vielleicht etwas mehr Verständnis entwickeln und verstehen, wie sie helfen können.

„Haben Sie Verständnis, ruhig ein bisschen Mitleid, aber bitte schauen sie nicht auf uns herab,“ schreibt Christine. „Und bewundern Sie die Alleinerziehenden für das, was sie alles schaffen, anstatt nur zu sehen, was hinten runterfällt. Seien Sie einfach nett zu ihnen.“ Natürlich ist das nur eine kleine Hilfe. Aber es ist ein Anfang für eine bessere Kommunikation untereinander, die vor allem den Weg für viele Kinder aus diesen Familien leichter macht. Daneben wünsche ich mir, dass mehr Frauen den Mut finden, Hilfe einzufordern, ihre Probleme hörbar zu benennen und für sich und ihre Kinder öffentlich einzustehen.


00b63ab0c16696eeChristine Finke:
Allein, alleiner, alleinerziehend
Wie die Gesellschaft uns verrät und unsere Kinder im Stich lässt
Bastei Lübbe
Paperback
239 Seiten
ISBN: 978-3-7857-2559-7
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Bild: Pixabay, pambernadino

1 Kommentar

  1. Vor unserer Gesellschaft stehen wir absolut alleine und verlassen da, das muss sich absolut ändern! Respekt das endlich mal Was getan wird.wir sind die bösen wenn wir die Familie trennen weil wir die Gewalt darin nicht mehr aushalten. Wir sind aber auch die
    Bösen wenn wir bleiben….
    So eine bescheuerte ei Einstellung. Deshalb trauen sich viele Opfer auch gar nicht mehr etwas zu sagen und gar Hilfe zu holen aus Angst vor der Kritik anderer. Auch ich bin meimem Kind zuliebe geflohen, aber das hat nichts gebeacht, uns schützt auch keiner, schrecklich und traurig zugleich. Und die Kommunikationsbasis in unserer Gesellschaft ist nur Alt und verödet betreffend solchen Themen!

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