Unter Glas Warum Verdrängen helfen kann

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Mir schrieb vor einiger Zeit eine Frau auf Facebook, dass sie Verdrängen super findet. Zunächst war ich irritiert. Eigentlich sagt man ja, Verdrängen sei schlecht, denn damit werden vor allem Gefühle weggedrückt, die früher oder später wieder über uns hereinbrechen können. Ich kann aber bestätigen, dass es Situationen in meinem Leben gab und gibt, in denen Verdrängen sehr wichtig war.

Als ich mich von meinem Partner trennte – was im ersten Moment eine auch von mir völlig unerwartete Affekthandlung nach einem unerträglichen Erlebnis war – hatte ich das Gefühl, dass ich unter eine Glasglocke schlüpfte. Durch diese Glocke konnte ich plötzlich glasklar sehen. Ich sah die Realität unserer gescheiterten Beziehung und meine Realität als zukünftige Alleinerziehende sehr scharf und deutlich vor mir. Ich konnte sehr deutlich erkennen, dass mein jahrelanges Kämpfen sinnlos war und ich aufgeben musste. Ich konnte außerdem sehen, dass ich Gewalt erlebt hatte und fühlte eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass diese Gewalt weiter eskalieren würde, wenn ich nicht ginge. Gleichzeitig begann ich aber zu diesem Zeitpunkt, andere Stimmen in mir und vor allem meine Gefühle zu unterdrücken. Es gab da noch die Stimmen der Sehnsucht nach dem anderen, die Stimmen der Hoffnung, dass es doch noch gehen könnte, die Stimmen der Traurigkeit, die Stimmen der Sorge um die Kinder, die Stimmen der „Liebe“, die Stimmen des Mitgefühls und viele andere Stimmen, die eher weich und besänftigend waren und dem anderen wieder Verständnis entgegenbringen wollten.

Diese ganzen warmherzigen Gefühle schnitt ich mir unter der Glocke ab. Ich sperrte sie alle weg.

Ich konnte mir dann in den darauffolgenden Tagen und Wochen dabei zusehen, wie ich die Trennung dingfest machte und durchzog. Ich räumte die Wohnung um, ich packte seine Sachen in Kisten, ich vermied Kontakt und Gespräche, ich schnitt den Rückweg aus meiner Entscheidung ab. Dabei fühlte ich mich eiskalt. Ich weinte nicht, ich trauerte nicht, ich klagte nicht. Ich hatte eher das Gefühl, in einer dringenden Notlage zu sein, in der es nicht angebracht war, Schwäche zu zeigen. Unterschwellig war ich natürlich total aufgewühlt und durcheinander. Ich war auch unsicher über meine Entscheidung. Ich suchte Rat bei Familienmitgliedern und bei Profis in Beratungsstellen. Aber ich hatte das ernste Gefühl, mich und meine Kinder schützen zu müssen. Ich hatte auch das Gefühl, mich selbst überlisten zu müssen und so schnell wie möglich Tatsachen zu schaffen, um nicht wieder weich und rückfällig zu werden.

Als ich später andere Geschichten von Frauen las, die sich aus einer Gewaltbeziehung befreit hatten, konnte ich Parallelen erkennen. Etliche Frauen fühlen sich in der ersten Zeit taub. Sie schneiden sich ihre Gefühle ab. Sie erleben keinen klassischen Liebeskummer wie bei einer „normalen“ Trennung. Stattdessen verhalten sie sich wie in Trance oder wie auf der Flucht. Andere erleben sogar schon in der ersten Zeit euphorische Gefühle der Befreiung. Es fällt eine Last von ihnen ab. Für mich war es so, dass ich einfach froh war, möglichst viel zu tun, dass es wenig Verschnaufpausen in der ersten Zeit gab. Ich blieb immer in Bewegung, um nicht ins Grübeln zu verfallen.

Da eine Gewalt- und Missbrauchsbeziehung einen starken Suchtcharakter hat und die Bindung zu einem solchen Partner häufig sehr stark ist, halte ich es inzwischen für sehr, sehr wichtig diese erste Phase der Verdrängung zu durchlaufen. Für mich heißt das, dass man sich in der akuten Trennungsphase von seinen Gefühlen abkoppelt, sie nicht mehr zulässt. Das gilt vor allem für die Sehnsucht nach dem anderen und für die Hoffnung, dass es doch noch gehen könnte miteinander. Es gilt auch für die Erinnerungen an schöne Zeiten, die plötzlich die erlebte Gewalt wieder im Bewusstsein schwächen. Und das gilt z.B. für Äußerungen anderer, dass es doch für die Kinder besser wäre, wenn man zusammen bleibt. Um eine solche Trennung zu schaffen, muss man sehr bewusst und aufmerksam mit sich selbst umgehen. Man muss sich teilweise verhalten wie bei einem Drogenentzug. Eine Trennung aus einer Gewaltbeziehung ist ein Kraftakt.

Folgendes war für mich hilfreich. Für Dich auch?

  • weitestgehende Kontaktsperre, den anderen möglichst wenig sehen, wenig mit ihm sprechen, wenig mit ihm schreiben. Wenn ein Kontakt unvermeidlich ist, sollte der in einer möglichst knappen, kühlen und sachlichen Art erfolgen (was unendlich schwer sein kann)
  • die erlebte Gewalt und die ungesunden Anteile der Beziehung möglichst detailliert aufschreiben, damit sie nicht vergessen und relativiert werden im Bewusstsein
  • Kontakt zu Menschen meiden, die die Trennung schade finden oder anzweifeln oder die Dir weiß machen wollen, das wäre für Eure Kinder schlecht. Das gilt auch für Berater und Therapeuten, die sich teilweise mit der Dynamik von Gewaltbeziehungen nicht auskennen
  • Kontakt zu Menschen suchen, die unterstützen und bestärken, die Deine Wahrnehmung ernst nehmen, die Dich an erlittenes Unrecht und Gewalt erinnern, die Dich ermutigen, bei der Trennung zu bleiben.
  • Gefühle der Liebe, Sehnsucht und Hoffnung dem anderen gegenüber nicht zulassen (in solchen Momenten kann die Liste der erlebten Gewalt sehr hilfreich sein)
  • Dein Wohnumfeld aufräumen (z.B. Erinnerungen an den anderen, Bilder, Geschenke etc. wegtun und wegräumen)

Als ich mich sicherer fühlte mit der Trennung, habe ich dann eine Therapie begonnen und sehr viel gelesen und mich informiert. Ein Jahr lang habe ich mich intensiv mit der Thematik der Gewaltbeziehungen beschäftigt, mit meiner familiären Vergangenheit und mit meinen ehemaligen Beziehungen. Schritt für Schritt habe ich mehr und mehr verstanden. Aber erst jetzt bin ich an einem Punkt, wo ich denke, dass eine echte Verarbeitung möglich ist und dass ich mich der Vielfalt meiner widersprüchlichen Gefühle stellen kann. Dennoch gebe ich mir den Raum und die Zeit, nicht alles aufzuwühlen und manches noch unter einem schützenden Deckmantel zu belassen. Ich glaube nicht mehr, dass ich alles verarbeiten MUSS, dass ich alles therapieren MUSS. Ich glaube, dass manches auch so stehenbleiben und innerlich versinken darf. Manches möchte und muss ich mir nicht mehr angucken. Die Freiheit nehme ich mir.

Und das ist gut so.


Bild: Pixabay, saulhm

7 Kommentar

  1. Liebe Rona, wie immer hast Du es auf den Punkt gebracht. Ich habe nach der Trennung funktioniert und alles aufrecht erhalten, ich wurde aktiv um mein Kind zu schützen und habe Beratungsangebote in Anspruch genommen etc. Ich bin auch so der typische Wegschmeißtyp und hätte vermutlich alle Fotos verbrannt wenn das Kind nicht da wäre. Nur wegen ihm gibt es noch Bilder vom Vater. Ich habe mich sehr intensiv mit dem Thema psychische Gewalt befasst und auch nach zweieinhalb Jahren kommt man nicht dran vorbei zu reflektieren aber auch heute nehme ich mir noch ganz bewusst Auszeiten in denen ich mich ablenke und negative Gefühle nicht hochkommen lassen möchte. Ich denke, dass das ein Selbstschutz ist, der auch sehr wichtig ist. Fatal wäre vermutlich, wenn dies Dauerzustand wird aber so ist es nicht. Ich setze mich auch manchmal ganz bewusst mit der Vergangenheit und daraus resultierenden Problemen/Gefühlen/Ängsten etc. auseinander. Das ist manchmal schmerzhaft aber meistens hilfreich und wichtig. Die Mischung macht es. Und der Austausch mit Frauen die ähnliche Erfahrungen gemacht haben hilft ungemein. Deshalb ist Deine Seite auch eine echte Bereicherung. Liebe Grüße

  2. Fast genauso – nur dass ich diese Entscheidung nicht eine Sekunde angezweifelt habe. Da hatte ich Glück, denn für mich war es glasklar, dass es nur diesen einen Weg gibt. Weg da, bzw. weg mit dem Mann, so schnell es geht (dass das dann noch 6 Monate dauerte, weil er nicht ging, ist eine andere Geschichte.)

    Danke fürs Aufschreiben!

    Christine

    • Liebe Christine,

      danke für Deinen Kommentar. Ich glaube, wenn da noch in irgendeiner Form Gefühle für den anderen da sind – was ja offenbar einige Frauen absurderweise so erleben – ist eine Gefahr des Rückfalls gegeben. Ich musste mir diese Gefühle schon sehr deutlich abschneiden, denn ich bin eigentlich ein Mensch, der vieles verzeiht. Dass das gar nicht gut ist für mich und dass das sogar gefährlich sein kann, habe ich erst im Rahmen der Verarbeitung verstanden. Zum Glück hatte ich damals Unterstützung von einigen wenigen lieben Menschen, die mir immer wieder den Kopf gewaschen haben.

  3. Liebe rona,
    Ich kann das nur bestätigen. Ich hatte als junges Mädchen eine Beziehung mit psychischer Gewalt. Das habe ich damals aber nicht verstanden. Als ich endlich den Absprung geschafft hatte, wollte ich einfach nichts mehr mit dieser Zeit zu tun haben und hab alles schnell und gründlich verdrängt. Erst nach 15! Jahren habe ich verstanden dass ich damals von einem narzissten manipuliert wurde. Ich habe mich dann damit schon noch auseinander gesetzt, auch durch deinen Blog, aber das ist jetzt schon so lange her, dass es nicht so problematisch war.
    Ich weiß nicht ob es so besser war als wenn ich mich damit früher beschäftigt hätte. Manche folgefehler hätte ich vielleicht vermeiden können, andererseits war ich vorher wohl auch nicht bereit mich damit auseinander zu setzen. Ich glaube dass das sehr individuell ist und auch verdrängen über lange Zeit eine sehr hilfreiche Strategie sein kann. Andererseits ist Aufklärung immens wichtig, denn wie gesagt, ich habe das auch alles nicht realisiert und verstanden. Wer weiß wie es gewesen wäre, wenn ich das alles schon viel früher hätte einordnen können…

    • Liebe bg,
      vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich glaube, es braucht Zeit, die Dinge sacken zu lassen und sich dann an die Erkenntnis heranzutrauen. Denn diese kann einen schon auch umhauen – besonders, wenn man dann mal in der eigenen (Familien-)geschichte nachforscht, wie es denn so weit kommen konnte, dass man sowas zugelassen hat. Ich glaube, wenn man die Dynamik einmal verstanden hat, ist man nicht mehr so gefährdet, in so einer Beziehung zu landen. Gleichzeitig wird man natürlich viel vorsichtiger und aufmerksamer, auch verletzlicher, habe ich festgestellt. Meine Erfahrung ist, dass man manche Fehler im Leben mehrfach machen muss, um wirklich zu verstehen, dass es auch anders geht. Manche Fehler wird man sogar nie ganz vermeiden können. Da ist Freundlichkeit mit sich selbst angesagt. Es ist zwar schwer, sehenden Auges wieder in alte Fehler zu rutschen, aber wenigstens erkennt man sie früher. Das ist viel wert.
      Herzliche Grüße

  4. Ja, da kann ich dir nur zustimmen. Ich glaube aber auch, dass es etwas mit dem Alter zu tun hat. Als junger Mensch kann man viel komplett ausblenden oder mit anderen Aktivitäten überlagern. Aber spätestens in der Lebensmitte holt einen alles ein. Gut ist, wenn man sich dem dann auch stellt, auch der Trauer um verlorene Jahre und verpasste Chancen. Und das verändert einen dann auch noch mal. Aber auch wenn es schwer ist, verändert es einen doch insgesamt eher zum Guten.
    LG

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