In den letzten Tagen geistert eine Diskussion rund um die Blogparade von Teilzeitmutter durch’s Netz, inwiefern es erlaubt sei, Beziehungsprobleme in die Öffentlichkeit zu tragen und seinen Partner zu „bashen“ (verspotten und bloßstellen). Ich möchte einen wichtigen Aspekt aufgreifen, der in diesem Zusammenhang häufig vergessen oder übersehen wird: Frauen, die psychische Gewalt in ihren Beziehungen erleben, interpretieren diese häufig als „einfache“ Beziehungsprobleme. Sie haben vielleicht ein komisches Gefühl. Sie sind sich unsicher, ob das, was sie da erleben, normal ist. Andererseits möchten sie auch nicht übertreiben. In den meisten Fällen versuchen diese Frauen, das Problem erst einmal familienintern zu lösen über Gespräche und Diskussionen mit dem Partner. Wenn das nicht fruchtet, weil der andere die Probleme ignoriert oder verharmlost oder nicht zu einem Gespräch bereit ist oder der Frau z.B. vermittelt, sie wäre überempfindlich und das wäre alles ganz normal, wenden diese Frauen sich vielleicht nach außen. Sie fragen bei Freundinnen oder Familienangehörigen nach. Wenn sie auch da kein Gehör finden, stellen sie ihre Probleme vielleicht im Internet zur Diskussion.
Wenn eine Frau über Beziehungsprobleme spricht, sollte man als Angesprochener sehr genau hinhören.
- Welche Probleme werden da geäußert?
- Ist das, was die Frau schildert normal oder grenzwertig?
- Geht es nur um nicht aufgeräumte oder nicht sortierte Socken, oder lässt sich heraushören, dass der Partner die Wahrnehmung der Frau konstant verdreht?
- Wird sie vielleicht in ihrem Alltag von ihrem Partner kontrolliert, indem er ihr vorschreibt, wie sie ihre Zeit zu gestalten hat, mit wem sie sich zu treffen oder mit wem sie zu telefonieren hat? Lässt der Partner der Frau offen oder verdeckt so gut wie keinen Freiraum, um sich zu erholen, um Hobbies nachzugehen etc.? Oder will er z.B. genauestens informiert werden, wann sie wohin geht und wann sie wieder zurückkommt und reagiert beleidigt und vorwurfsvoll, wenn sie ein paar Minuten zu spät kommt?
- Wird die Frau immer wieder mit ihren Problemen nicht ernst genommen?
- Entzieht der Partner sich ständig der Familie und den damit verbundenen Pflichten?
- Stellt der Partner sich und seine Bedürfnisse konstant über die Bedürfnisse der Frau und der Familie?
- Entzieht der Partner sich immer wieder Kritik und gemeinsamen Gesprächen über die Familienorganisation?
- Wird die Frau immer wieder verdeckt oder offen beleidigt, dass sie sich nicht so anstellen soll, dass das alles doch „normal“ wäre, dass sie nicht so faul sein soll?
- Versucht der Partner offen oder verdeckt die Kontrolle und Macht über die Frau und die Familie zu erlangen?
- Isoliert der Partner die Frau? Hat sie kaum noch Zeit für gemeinsame Treffen oder Telefonate? Verhält sie sich „komisch“ und ist kaum noch erreichbar, oder bricht sie eine Freundschaft aus unerfindlichen Gründen einfach ab? Erscheint sie plötzlich nicht mehr bei Familientreffen? Rät der Partner ihr, gemeinsam weit weg zu ziehen von Freunden und Verwandten?
- Wie spricht der Partner vor Bekannten, Freunden und Familienangehörigen über seine Frau? Stellt er sie bloß? Macht er sich offen oder verdeckt über sie lustig oder beleidigt er sie immer wieder? Vereinnahmt er die Frau sprachlich?
- Ändert er bei Kritik sein Verhalten, oder tut er so, als wäre nichts gewesen?
- Eskalieren Gespräche und Auseinandersetzungen regelmässig, wenn die Frau Kritik an ihrem Partner äußert, Alltagsdinge und Anschaffungen klären und besprechen möchte etc.? Reagiert der Partner übertrieben verletzt auf Kritik? Wird er extrem wütend oder sogar jähzornig? Oder bleibt er ganz ruhig, aber provoziert die Frau und verdreht ihr das Wort im Mund bis sie völlig verzweifelt ist? Oder entzieht sich der Partner z.B. solchen Gesprächen, indem er einfach geht?
- Hast Du als Freundin, Freund oder Angehörige(r) ein komisches Bauchgefühl?
Wenn eine Frau ihre Beziehungsprobleme öffentlich anspricht, kann das also ein verdeckter Hilferuf sein. Es ist aber leider nicht selten, dass Angehörige und Freunde verharmlosen, was die Frau erzählt. Es wird ihr evtl. geraten, mit ihrem Partner mehr zu sprechen, sich durchzusetzen oder sogar eine Paarberatung aufzusuchen (was bei Gewaltbeziehungen komplett kontraproduktiv ist). Es kann andererseits sein, dass ihr gesagt wird, dass sie über solche Probleme nicht öffentlich reden sollte, weil Beziehungsprobleme nicht in die Öffentlichkeit gehören und sie damit ihren Partner bloß stellt. Obwohl sie also eigentlich Hilfe sucht, ist sie nun diejenige, die „gebasht“ wird dafür, dass sie ihre Schwierigkeiten zur Diskussion stellt.
Leider wissen viele nicht, wie eine psychische Gewaltbeziehung sich darstellt und sind daher nicht sensibilisiert für die Symptome. Die Ratschläge, die evtl. erteilt werden, gehen daher in eine falsche Richtung. Am Ende steht eine Frau, die solche Probleme schildert, noch einsamer da, als vor dem Gespräch. Sie nimmt ihre Wahrnehmung und ihr schlechtes Bauchgefühl nicht mehr ernst. Freunde und Angehörigen haben ja gesagt, dass das alles normal wäre und nur eine Beziehungskrise. Dann kann also ihr Gefühl nicht stimmen. Weil es vielen sowieso schon unangenehm ist, über solche Probleme zu sprechen, wird die Schwelle, sich anderen anzuvertrauen mit der Zeit immer höher. Das schlechte Gefühl und die Not der Frau finden kein Gehör. Sie versucht das mit sich auszumachen oder mit ihrem Partner – ohne Ergebnis.
Es ist also sehr wichtig, ganz genau hinzuhören, wenn eine Frau Beziehungsprobleme schildert. Es ist sogar noch genauer hinzuhören, wenn eine Frau diese Beziehungsprobleme in die Öffentlichkeit trägt. Die meisten Menschen tragen ihre Familienprobleme nicht „einfach so“ in die Öffentlichkeit. Es besteht ein kleiner aber feiner Unterschied zwischen „Nur-Ablästern“ oder „Heimlich-um-Hilfe-rufen“. Im Übrigen sind gewalttätige Partner für Außenstehende nicht leicht zu erkennen. Häufig sind diese Menschen freundlich, attraktiv und erfolgreich. Der gesellschaftliche Status spielt keine Rolle. Wie sie sich in der Außenwelt verhalten, entspricht nicht ihrem Verhalten zwischen den eigenen vier Wänden. Sie werden sogar innerhalb der Familie nicht nur negative Verhaltensweisen zeigen, sondern phasenweise sehr hilfreich sein und ein toller Partner und Vater. Die Dynamik einer Gewaltbeziehung entwickelt sich aus einem Wechselspiel von Liebe und Gewalt, durch das eine starke Abhängigkeit der Partnerin entstehen kann.
Ganz entscheidend ist das Bauchgefühl der Frau. Wenn sie auch nur im mindesten das Gefühl hat, dass da etwas nicht stimmt, dass sie falsch behandelt wird, dass sie nicht respektiert wird, sollte sie genauer hinschauen und darin unterstützt werden. Schweigen und zum Schweigen raten (weil man über „sowas nicht öffentlich redet“) unterstützt die Gewalt.
Weitere Blogbeiträge dieser Seite zu Gewaltbeziehungen findest Du hier.
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