Heute morgen las ich einen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Es ging um Stiefmütter und ihre schwierige Rolle in der Familie und im Umgang mit den Kindern des Partners. Der Artikel füllte eine Seite und eine weitere Spalte. Es gab aber vielleicht nur ein oder zwei Sätze, in denen die Verantwortung der Väter für die schwierige Situation der Stiefmütter und der Familie insgesamt benannt wurde. Für mich ist das symptomatisch.
Das Thema Stiefmütter, Väterentbehrung und Wechselmodell ist schon seit längerem in aller Munde. Sehr häufig geht es dabei darum, dass leibliche Mütter den Vätern angeblich den Umgang mit ihren Kindern erschweren und dass wiederum leibliche Mütter und Stiefmütter teilweise in einen erbitterten Wettstreit um die Gunst der Kinder treten. Auch hier sind angeblich hauptsächlich die leiblichen Mütter diejenigen, die den Stiefmüttern und dem Vater das Leben schwer machen. Gleichzeitig wird betont, wie wichtig der Vater für Kinder ist und wie schlechte Auswirkungen es auf Kinder hat, wenn sie auf ihren Vater verzichten müssen.
Was mir auffällt: Viel zu wenig wird bei der gesamten Debatte die Rolle der Väter beleuchtet.
Mütter und Stiefmütter – ein Beispiel
Ich kenne mehrere Fälle, in denen es keinen Kontakt zwischen Mutter und Stiefmutter gibt. Das führt für die Kinder zu absurden Situationen. Die Übergabe der Kinder muss im Hausflur erfolgen. Es gibt keine Begrüßung zwischen zwei der wichtigsten Bezugspersonen des Kindes. Oder: Das Kind weiß, dass die Stiefmutter im Nebenraum ist, ruft „Hallo“ und erhält keine Antwort. Es können starke Spannung und Unsicherheiten bei der Übergabe enstehen, die sich auch auf die Kinder auswirken.
Je nach Verhalten der Mutter, Stiefmutter und des Vaters kommen die Kinder in einen Loyalitätskonflikt. Dürfen sie der leiblichen Mutter erzählen, dass sie gern mit der Stiefmutter kuscheln? Dürfen sie in der Stieffamilie fragen, wann sie wieder „nach Hause“ kommen? Dürfen sie bei einem Wechselmodell überhaupt „nach Hause“ sagen, wenn sie nur einen Haushalt meinen? Dürfen sie sagen, dass sie den anderen leiblichen Elternteil oder Stiefelternteil vermissen? Dürfen sie ihrem Wunsch nachgehen, dass alle Familienangehörigen bei wichtigen Anlässen da sind? Dürfen sie Spielsachen mit zur Mutter nehmen, die ihnen der Vater geschenkt hat?
Der nicht vorhandene Kontakt zwischen Stiefmutter und Mutter kann dazu beitragen, dass sich beiderseits bestimmte Vorstellungen und Bilder der anderen Frau erhärten, die kaum der Realität entsprechen. Man kennt die andere nur über Erzählungen des (Ex-)Partners, gemeinsamer Freunde oder über Bilder bei Facebook. Die Phantasie kann sich hier austoben und gern wird aus der Ex oder Next das schwarze Schaf, das für die schwierige familiäre Situation verantwortlich gemacht wird. Die leibliche Mutter wiederum muss sich mit ihren Ängsten auseinandersetzen, mit welcher Person ihre Kinder so viel Zeit und vielleicht sogar ihren Urlaub verbringen. Beiderseitig können Gefühle der Eifersucht und Angst hochfahren bis ins Grenzenlose.
In diesem Konflikt bleibt der Mann und Ex-Mann meist im Hintergrund als unbeteiligter Beobachter. Wenn die Stiefmutter keinen Kontakt zur Mutter will, nimmt er das z.B. einfach hin. Wenn die Mutter leidet, dass sie die Stiefmutter nicht kennt, ist das ihr Problem, mit dem sie zurechtkommen muss. Wenn die Kinder es schwierig finden, ihre Stiefmutter nicht begrüßen zu können, wenn die Mutter anwesend ist, haben sie das hinzunehmen.
Stiefmütter und Mütter opfern sich auf
In dem Artikel wurde deutlich, dass viele Stiefmütter sich in einer ganz ähnlichen Situation befinden wie alleinerziehende Mütter. Sie versuchen, sich selbst für die Kinder zurückzunehmen, ihnen eine schöne Zeit zu bereiten, alles dafür zu tun, dass sie angenommen werden, alles dafür zu tun, dass es den Kindern gut geht und dass sie nicht unter den Lebensbedingungen leiden. Dabei verausgaben sie sich und erhalten wenig Anerkennung. Stiefmütter spielen für den Vater oft die zweite Geige, wenn die Kinder anwesend sind und haben sich den Bedürfnissen der Kinder unterzuordnen. Auch für die Kinder sind Stiefmütter häufig nur eine Randfigur, die teilweise sogar stört im Kontakt mit dem Vater. Die Stiefmutter wiederum muss sich in ihren Bedürfnisse sehr häufig zurücknehmen.
Alleinerziehende Mütter und Stiefmütter übernehmen Verantwortung für die anspruchsvolle familiäre Situation. Beide sind in dieser Rolle sehr häufig überfordert und am Rand des Burnout. Beide fühlen sich häufig in konkurrierenden Rollen gegeneinander. Beide leiden unter zu wenig Anerkennung. Aber gleichzeitig und häufig völlig unbemerkt halten sie beide den Vätern den Rücken frei.
Väter haben eine Beziehungsverantwortung
Viel zu wenig wird thematisiert, dass Väter nicht nur eine Anwesenheits- und Unterhaltsverantwortung haben, sondern auch eine Beziehungsverantwortung, und zwar nicht nur für die Kinder, sondern für die gesamte Familie. Die Beziehungsverantwortung wird – neben der Haushalts- und Sorgeverantwortung – gern auf die Mutter und Stiefmutter abgewälzt.
Die Beziehungsverantwortung wird abgeschoben
Wenn also dann z.B. ein Kind nicht mehr zum Vater gehen möchte, wird der Mutter die Verantwortung gegeben (nicht selten sogar bei nachgewiesener häuslicher Gewalt). Sie hat angeblich das Kind negativ beeinflusst, auch wenn sie sich an keine negative Beeinflussung erinnern kann, sondern stattdessen (auch im eigenen Interesse) alles dafür tut, dem Kind die Zeit beim Vater schmackhaft zu machen. Ich kenne einige solcher Fälle, in denen die Väter sich und ihr Verhalten mit ihren Kindern in keinster Weise in Frage stellen wollen. Einge von ihnen setzen die Umgangszeit oder sogar das Wechselmodell auch gegen den Willen des Kindes durch, da sie Gleichberechtigung verlangen und da das angeblich besser für die Kinder wäre und dem Kindeswohl diene. Der Wille des Kindes zählt hier nicht wirklich, weil er angeblich beeinflusst sei (von der Mutter, natürlich).
Umgekehrt möchten manche leiblichen Mütter ihre Kinder ungern zum Vater geben, weil sie so schlechte Dinge von der Stiefmutter gehört haben und weil die Stiefmutter sich angeblich nicht richtig kümmert oder schlicht und ergreifend, weil sie sie nicht kennen. Es gibt auch Fälle, wo die Stiefmutter die Sorgeverantwortung für die Kinder bewusst nur in einem sehr eingeschränkten Maß mitübernehmen möchte oder sogar gar kein Interesse an den Kindern ihres Partners hat und so den Umgang erschwert.
Es gibt auch nicht so selten die Situation, dass ein Vater fast ganz selbstverständlich voraussetzt, dass seine neue Partnerin die Mitverantwortung für die Sorge um die eigenen Kinder und damit die Rolle der Stiefmutter übernimmt, während er selbst wenig an seinem alltäglichen Tagesablauf ändern muss. Dies führt dann z.B. dazu, dass der Vater sich am Umgangswochenende vor dem PC oder hinter der Zeitung entspannt, während die Stiefmutter sich um seine Kinder kümmert, mit ihnen bastelt, spielt, für sie kocht und sie sogar versorgt, wenn sie nachts krank werden. In diese Fällen ist der Vater wie in einer klassischen Familie nur im Hintergrund vorhanden. Seine Kinder bleiben für ihn nettes Hintergrundgeräusch. Die Sorge- und Beziehungsverantwortung übernimmt die Stiefmutter.
Verschleiernde Frontenbildung und rollenverhärtung
Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Blogs und Initiativen, die sich einerseits mit den Schwierigkeiten der Stiefmütter und andererseits mit dem Leben als alleinerziehende Mutter auseinandersetzen. Es gibt auch eine ganze Reihe von Blogs und Initiativen, die sich für die Rechte der Väter einsetzen. Diese Gruppen bleiben aber jeweils unter sich und neigen dazu, dem jeweils anderen Part Schuld in die Schuhe zu schieben. Besonders verbreitet ist das zwischen leiblichen Müttern und Stiefmüttern. Stiefmütter stellen sich dabei nach meiner Beobachtung oft auf die Seite ihrer Männer und damit der Väterrechtsbewegung – gegen alleinerziehende, leibliche Mütter.
Durch die insgesamt sehr angespannte Lage zwischen den einzelnen Parteien, bleibt wenig Zeit, die Verteilung der Beziehungs- und Sorgeverantwortung und die Rollenverteilung zu hinterfragen. So rutschen Frauen in ihrer Rolle als Mutter oder Stiefmutter sehr schnell in traditionelle Muster, die sie überfordern und ihnen nicht gut tun. In diesen Rollen wird ihnen gesellschaftlich häufig eine zu hohe Verantwortung für die Kinder zugeschoben. Wie sie es machen, sie machen es falsch und sie stehen immer unter besonderer Beobachtung und Bewertung in ihrem Beziehungsverhalten zu den Kindern. Evtl. Probleme der Kinder werden dann gern den Müttern und Stiefmüttern und ihrem Unvermögen zu einer guten Erziehung zugeschoben. Die Väter wiederum werden bewundert, wenn sie sich intensiv um ihre Kinder kümmern und bemitleidet, wenn sie nur wenig Zeit mit ihren Kindern verbringen „dürfen“, weil die leibliche Mutter es (angeblich) verhindert.
Die Mütter und Stiefmütter treten jedoch eher in einen Krieg gegeneinander, als das sie dem Vater gegenüber unbequem werden und seinen Einsatz einfordern. Der Vater bleibt dann ein Zuschauer im Hintergrund, der die Konflikte der Frauen eher widerwillig und mit wenig Verständnis verfolgt.
Unbequem werden
Ich finde, es ist an der Zeit, dass sowohl Mütter als auch Stiefmütter sich bewusst machen, dass sie immer nur einen Teil der Beziehungs- und Sorgeverantwortung übernehmen können. Es ist auch an der Zeit, dass sie dies den Vätern gegenüber deutlicher einfordern und nicht um des lieben Friedens willen hinnehmen, dass ihnen selbst fast die Puste ausgeht.
Die Väter selbst sind für die Gestaltung ihrer Beziehung zu den Kindern verantwortlich. Diese Verantwortung kann ihnen die Mutter oder Stiefmutter niemals abnehmen.
Wenn es so wichtig ist, dass der Vater im Leben seiner Kinder präsent ist, reicht es nicht, dass er die meiste Zeit auf der Arbeit ist und sich am Umgangswochenende entspannt, während seine Kinder von seiner Exfrau oder seiner jetzigen Partnerin versorgt werden. Als Vater präsent zu sein heißt eben genau das: sich wirklich um die Kinder und um eine gute Beziehung zu ihnen bemühen, eigene Verhaltensweisen, Gewohnheiten und Rollenbilder hinterfragen, nicht nur Spiel-Daddy sein, sondern auch das Erbrochene beseitigen, das Bett neu beziehen und das Kind trösten, sich etwas für die gemeinsame Zeit überlegen und diese bewusst miteinander verbringen, das eigene Karriereverhalten zu hinterfragen etc. Es kann auch heißen, als Partner unbequem zu werden, wenn die neue Partnerin den Kontakt zu den Kindern verhindern möchte und die gemeinsame Zeit mit den Kindern durchzusetzen. Es kann außerdem heißen, dass Mütter und Stiefmütter hinterfragen, warum sie in Konkurrenz treten oder sich vor einem Kontakt drücken und ob es nicht für alle Beteiligten einfacher wäre, wenn sie ihre Ängste und Vorurteile überwinden.
In den meisten Fällen sind Mütter und Stiefmütter sehr um die Kinder bemüht. Auch der Vater meint es vielleicht gut, aber entzieht sich – ob bewusst oder unbewusst – der Beziehungsverantwortung, die er nicht nur für die Kinder sondern auch für die familiäre Situation insgesamt hat. Er kann entscheidend mit dazu beitragen, dass sich die Wogen glätten und die angespannte Situation zwischen Mutter und Stiefmutter oder zwischen Stiefmutter und Kindern entspannt. Statt die Ex schlechtzureden, kann er ihre Leistung wertschätzen. Er kann den Kindern gegenüber einen respektvollen Umgang mit der Stiefmutter einfordern. Er kann ermutigen, dass ein Kontakt zwischen Mutter und Stiefmutter stattfindet. Statt den Konflikt zu schüren oder sich unbeteiligt zurückzulehnen in Anbetracht des Konflikts zwischen Mutter und Stiefmutter, kann er Position beziehen und entscheidend zu einer friedlichen Lösung beitragen.
Die Mütter und Stiefmütter möchte ich wiederum dazu ermutigen, sich selbst öfter einmal bewusst zurückzulehnen und sich klarzumachen, dass sie nicht für alles verantwortlich sind, was in der Familie läuft und wie es den Kindern geht. Sowohl Stiefmütter als auch alleinerziehende Mütter sollten selbstbewusst für ihre eigenen Bedürfnisse einstehen und dem Vater mehr Beziehungs- und Sorgeverantwortung zumuten.
Bild: Pixabay, geralt
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