Geschmack der Freiheit Bitter Sweet Symphony

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heldinnen oder versagerinnen

Bei RTLII läuft zur Zeit eine Serie über Alleinerziehende. Ich habe diese Sendungen nicht gesehen, aber ich habe Rezensionen gelesen. Unter anderem schreibt Antje Hildebrandt in der WELT über die alleinerziehenden Heldinnen des Alltags, die von RTLII in fast unerträglich vereinfachender Form an die Wand der Vorurteile genagelt werden. Über den Artikel selbst mag man sich streiten. Interessant ist aber, welche Kommentare sich darunter sammeln. Zeigt die Autorin noch Verständnis für die Situation der Alleinerziehenden, sind sich die meisten Kommentatoren der ersten Stunde einig, dass die im Film gezeigte alleinerziehende Frau selbst für ihre Situation verantwortlich und daher nicht zu bemitleiden und schon gar nicht als Heldin zu bezeichnen ist. Es wird sogar in Frage gestellt, ob eine solche Frau überhaupt Kinder bekommen sollte.

Diese Kommentatoren sind zum größten Teil Männer. Sie predigen das Bild der heilen Familie mit Vater, Mutter, Kind, das angeblich das einzig Wahre für Kinder ist. Nun, denke ich, was kann man bei den Lesern eines konservativen, kirchennahen Blatts schon erwarten. Andererseits irritiert mich die Schärfe und der Hass, der durch diese Zeilen dringt.

sie hat es nicht anders gewollt

Meine mindestens ebenso scharfe Antwort hat die WELT nicht veröffentlicht. Ich fragte mich in meinem Kommentar, ob diese kommentierenden Männer (die ja offensichtlich in einer heilen Familie leben) wissen, welchen Preis ihre Frauen für die heile Familie zahlen. Ich fragte mich, ob sie jemals schon länger als ein Wochenende oder eine Woche allein auf ihre Kinder aufgepasst und das Haushalts- und Familienmanagement übernommen und nebenher noch ihren Job gewuppt und die abgespannte Ehefrau am Abend bespasst und bekocht haben. Ich fragte mich, ob sie ihre Karriere für ihre Kinder aufgegeben haben. Ich fragte mich auch, wieviele von ihnen ihre Frauen demütigen oder sogar körperlich misshandeln in der ein oder anderen Form und nach außen den schönen Schein wahren. Ich fragte mich, wieviele von ihnen sagen „sie hat es ja nicht anders gewollt“, wenn einer Frau in ihrem Umkreis Gewalt angetan wird. Ich fragte mich auch, wieviele ihrer Geschlechtsgenossen inkl. sie selbst keine echte Verantwortung für die von ihnen gezeugten Kinder übernommen haben oder sich zum Beispiel um den Unterhalt drücken oder bei nächster Gelegenheit mit einer jüngeren Frau ins Bett springen.

Am Ende habe ich mich gefragt, wieviele von diesen Männern schon einmal in einer solchen Situation waren, dass sie sich ein fundiertes Urteil erlauben können.

Gefahr für die Gesellschaft

Wenn Du Dich für die Freiheit entscheidest, kannst Du für andere Menschen gefährlich werden. Du gefährdest den Status Quo. Wenn Du dabei „schön leidest“, mag es noch den ein oder anderen geben, der Dich bemitleidet und Dir zur Seite steht. Wenn Du aber offen zu Deiner Entscheidung stehst und am Ende sogar glücklicher bist mit Deinem Leben allein oder sogar alleinerziehend, kannst Du Dich verdächtig machen. Es kann Dir geschehen, dass Menschen sich abwenden, die vorher Deine Freunde waren. Es kann passieren, dass Du plötzlich Deine Gesprächspartner verlierst, weil Du offen über Deine Vergangenheit sprichst. Menschen, die solche Erfahrungen noch nicht gemacht haben, reagieren womöglich verunsichert oder werden schnell ein Urteil für Dich parat haben.

Kein Recht zu gehen

Als Frau scheint Dir auch heute noch an vielen Stellen das Recht abgestritten zu werden, ein freies und glückliches Leben zu führen. Ein Mann, der sich von seiner Familie trennt z.B. wegen einer neuen Frau, erlebt lange nicht so viel Unverständnis und Ablehnung wie eine Frau, die sich aus eigenem Willen aus unglücklichen Lebensumständen befreit und auch noch Kinder mitnimmt. Häusliche Gewalt mag für Außenstehende noch ein triftiger Grund sein. Aber selbst in diesem Fall kann es vorkommen, dass die Frau nach ihrer Mitverantwortung für die gewalttätige Entwicklung der Beziehung gefragt wird. Scheinbar haben Frauen in unserer Gesellschaft grundsätzlich eine höhere Verantwortung als Männer und erleben gleichzeitig weniger Anerkennung.

Rüste Dich

Wer als Frau den Schritt in die Freiheit wagt, sollte sich auf solche Reaktionen gefasst machen. Wie sehr steht das Wohl der anderen über Deinem Wohl? Wie sehr steuert Dich die Verantwortung für andere in Deinen Entscheidungen?

In allererster Linie bist Du für Dich selbst verantwortlich. Auch wenn Du es nicht gelernt hast, übe für Dich selbst zu sorgen wie Du es häufig für andere tust. Stelle Dein Glück und Dein Wohlergehen in den Mittelpunkt Deiner Entscheidungen. Das meint nicht, dass Du nur nach dem Lustprinzip entscheidest und dass Du die Verantwortung für andere komplett über Bord wirfst. Es meint, dass Du Dir selbst Dein Glück gönnst, dass Du nicht denkst, Du musst für das Glück Deiner Kinder oder Deines Mannes oder Deiner Verwandten oder Deiner Freunde in einer Lebenssituation bleiben, die Dir die Luft zum Atmen nimmt.

Es ist niemandem damit gedient, wenn Du nur noch als Schatten Deiner selbst für Deine ach so heile Familie sorgst. Deine Kinder brauchen Dich als Mensch und Vorbild mit Schwächen und Stärken, Vorlieben und Abneigungen und vor allem einem klaren Nein zu übergriffigem Verhalten Dir gegenüber und einem klaren Ja zur Freude am Leben.

1 Kommentar

  1. Hallo Rona,
    es ist unglaublich, dass Dein Kommentar in der WELT nicht veröffentlicht wurde.

    Ja, als Frau ist man die Gefahr für die Gesellschaft. Ich finde mich in Deinem Artikel in einigen Absätzen dieses Artikels gut wieder. Habe alles selbst durch: Trennung vom Partner und eine Tür nach der anderen Tür zu angeblichen Freunden hat sich geschlossen. Eine harte Erfahrung, die mich aber geprägt hat. Mittlerweile bin ich über diese „Energiehygiene“ sehr dankbar. Denn wo sich Türen geschlossen haben, öffnen sich auch wieder neue Türen. Die „neuen Türen“ werden kritischer betrachtet und zur Not auch gleich wieder geschlossen. Aber ich habe tolle, neue Leute kennengelernt, mir ein tolles Netzwerk aufgebaut und mittlerweile auch keine Zeit mehr für meine „angeblichen Freunde“.

    Eine gute Rüstung kann ich jeder Frau nur empfehlen und auch selbst dann wird es noch hart. Aber der Kampf lohnt sich auf dem Weg zu sich SELBST und einem glücklicheren Leben. Ich bin noch nicht angekommen, aber auf einen guten Weg dahin.

    Beste Grüße, Steffi Mü

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