Licht | Kraft | Positivität

InMeditation, Yoga
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Ich mache gern Yoga. Es spricht meine Sehnsucht nach Spiritualität an und es tut mir einfach gut. Ich fühle mich danach immer sehr entspannt und ruhe in mir.

Aber es gibt etwas, dass mich nervt.

Wenn ich höre, dass ich Licht, Kraft und Positivität einatmen soll, verkrampft sich alles in mir. Ich fühle da keine Licht, Kraft und Positivität. Nein, ich fühle – wenn überhaupt – einfach mein da sein. Manchmal fühle ich mich gut, manchmal fühle ich mich schlecht. Manchmal habe ich das Gefühl, durch mich läuft Strom, manchmal fühle ich mich schwer ich ein Brocken Erde. Manchmal bin ich voller Liebe, manchmal voller Wut, manchmal voller Traurigkeit. Manchmal bin ich stumpf und gleichgültig, manchmal frisch und wach. Und manchmal ist da so ein schweres, depressives Gefühl, das mich niederdrückt.

Ich glaube, darum geht es eigentlich.

Dieses „auf-Teufel-komm-raus-positiv“ ist doch nicht authentisch und wenn ich eins nicht ausstehen kann ist es, wenn etwas nicht ehrlich ist. Ich bin nicht nur positiv. Ich bin auch bei weitem keine Optimistin. Manche sagen ich wäre Pessimistin. Das stimmt auch nicht. Ich fühle es eher als einen fließenden Zustand und ich wehre mich dagegen, mich immer gut fühlen zu sollen, wenn ich mich nicht gut fühle.

Früher habe ich mich schlecht gefühlt, weil ich dieses Licht nicht fühlen, geschweigedenn sehen konnte. Ich war im Erleuchtungs- und im Positivitätsstress. Ich fühlte mich klein und unfähig, weil es mir nicht möglich war, diese Gefühle zu produzieren. Es war der reinste Leistungsdruck. Dem wollte ich eigentlich durch Yoga entkommen, aber bei den meisten Schulen und den meisten Lehrern begegnest Du diesem Zwang zur Lebensfreude. Wenn Du nicht mit den neusten Yoga-Klamotten frisch, fit und fröhlich auf der Matte stehst, fällst Du auf.

Als ich in den 80er Jahren das erste Mal Yoga begegnete, wurde man noch schräg angeguckt wenn man sagte, dass man Yoga macht. Praktiziert wurde in einem Kellerraum einer Bildungswerkstatt auf billigen Schaumstoffmatten (Yogamatten? Fehlanzeige!). Reine Yogaschulen gab es nicht. Die Kursteilnehmer waren ganz unterschiedlich alt, viele Alt-68er und einige, wenige jüngere. Ich war damals 18 und die jüngste. Wir hatten alle irgendwelche verbeulten Jogginghosen und schlabberige T-Shirts an. Yoga-Mode gab es ebenfalls noch nicht. Mein erster Lehrer wird für mich immer prägend sein und ich bin ihm nach wie vor dankbar, wie er mir Yoga vermittelt hat. Diese Form der Vermittlung habe ich nie mehr angetroffen. Er hatte Humor und er hat die ganze Stunde so angeleitet, dass man mit geschlossenen Augen alle Übungen durchführen konnte. Dabei hat er betont, dass es um die bewusste Ausführung der Übungen geht, dass man versuchen sollte, möglichst jede Bewegung bewusst zu fühlen. Er zeigte uns auch, wie man das mit Hilfe der Atmung schaffen kann. Auch er hatte Anweisungen, die in diese Positivitätsrichtung gingen. Aber es war eher freundlich und entspannt. Er sagte zum Beispiel: „Lächle Deinem ganzen Körper zu als Zeichen Deiner Dankbarkeit für Deine individuelle Existenz.“ Das war so etwas feines, sensibles, stilles. Und es hatte Wirkung. Dadurch, dass wir alle die Augen geschlossen hatten, waren die Übungen sehr intensiv. Den Drehsitz konnte ich damals nicht ausstehen. Er hat jede Übung ganz langsam auf- und abgebaut, so dass jede kleinste Bewegung bewusst ausgeführt werden konnte. Und dann blieb man mithilfe der Atmung lange in einer Haltung. Es war für mich sehr interessant zu erleben, dass ich durch das bewusste Atmen plötzlich loslassen konnte und auch in einer für mich sehr unangenehmen Haltung bleiben konnte. Weiterer Vorteil der geschlossenen Augen war: jeder war für sich. Wir verglichen uns nicht. Es kam nur selten vor, dass ich mal spinksen musste, wie ein anderer die Übung ausführte.

Es gibt diesen Lehrer heute noch und er wirbt immer noch mit demselben Satz für seine Kurse, die sicher nach wie vor beliebt sind. Nur manchmal fügt er hinzu, dass es bei Yoga nicht um Leistungsdruck geht. Es war ihm immer sehr wichtig zu betonen, dass Yoga ein Weg der Erkenntnis ist und ein Weg nach innen. Kein reiner Sport.

Heute ist Yoga ein Trend mit immer ausgefeilteren Techniken, die für viele gar nicht durchführbar sind. Eine Freundin sagte mir letztens, dass sie sich nicht traut zum Yoga zu gehen, weil sie im Moment so schlecht aussieht und weil sie nicht mehr trainiert ist. In Fitnesscentern wird ein völlig verwässertes Yoga angeboten. In manchen Yoga-Centern wird es wiederum total übertrieben mit dem spirituellen Erleuchtungs- und Fröhlichkeitsanspruch. Durch Mantra-Singen, angeblich obligatorische Nasen- und Darmspülungen oder dem magischen Aufsagen der Asana- und Chakra-Namen fühlen sich manche Interessenten abgeschreckt. Mancher stemmt sich in den Kopf- oder Schulterstand und verrenkt sich den Nacken, weil er einfach noch nicht fit genug ist. Ich erlebe nur noch wenige Yogalehrer, die sagen können, was man bei bestimmten körperlichen Beschwerden nicht machen sollte. Viele sind offensichtlich nicht mehr gut ausgebildet. Viele sind scheinbar auch nicht wirklich in ihre eigenen Tiefen vorgedrungen im Yoga. Viele haben scheinbar nicht verstanden, worum es beim Yoga eigentlich geht.

Ich habe es so verstanden, dass Yoga ein Weg zu mehr Bewusstheit im Leben ist und dass das Ziel von Yoga die Meditation ist. Meditation ist für mich wiederum kein Sitzen im Lotussitz, sondern eigentlich ein Geisteszustand, der in jede Lebenslage übertragbar ist. Es bedeutet für mich, möglichst jeden Moment bewusst zu erleben, egal, ob ich gerade im Lotussitz sitze, in der vollen U-Bahn oder am Rechner. Ja, das ist ein fernes und hohes Ziel. Aber in den wenigen Momenten, in denen ich das schaffe, öffnet sich so etwas wie eine Tür. Plötzlich bin ich ganz da, ganz im Moment und gleichzeitig bin ich als „Ich“ nicht mehr da. Das Ich verschwindet einfach, wird unbedeutend. Dadurch relativieren sich viele andere Erlebnisse und Gefühle und ein tiefes Glücks- und Verbundenheitsgefühl entsteht.

Bewusst im Moment zu sein, heisst für mich auch: meine Gefühle dürfen so da sein, wie sie gerade sind. Mein Körper darf so da sein, wie er gerade ist. Auch meine Umgebung, die Geräusche, die Gerüche usw. dürfen so da sein, wie sie gerade sind. Das kann dann z.B. so sein, dass ich meditiere und neben mir mein kleiner Sohn Quatsch macht, oder meine Katze miaut, weil sie fressen will, oder laute Autogeräusche von der Straße zu hören sind, oder meine Beine schmerzen oder ich in mir eine schreckliche Unruhe spüre oder eine tiefe Traurigkeit oder eine extreme Unlust auf diesen neuen Tag. Solche Gefühle zuzulassen ist schwer, weil wir gewohnt sind, diese Gefühle wegzudrücken. Sie sind nicht erwünscht. Aber eigentlich sind es nur Gefühle. Nicht mehr und nicht weniger. Sie bestimmen uns nicht. Sie sind nicht wir. Sie kommen und gehen, genauso wie die Gedanken.