Ich bin dann mal weg
Trennungen sind schwierige Veränderungsprozesse im Leben. Mehr und mehr Paare trennen sich. Darunter leiden die ehemaligen Partner und die beteiligten Kinder. Viel wird kritisiert an dieser Wegwerfkultur in Beziehungen. Wenn es schwierig wird, geht man. Angeblich ist kaum noch jemand bereit, für eine Beziehung zu kämpfen und dafür zu arbeiten. Die Freiheit der Lebensentscheidungen des Einzelnen wird zum mörderischen Bumerang der Liebe.
Die Liebesretter und die märchen
Es gibt schöne Ratgeber-Bücher zu diesem Thema, die da z.B. lauten „Liebe Dich selbst und es ist egal, wen Du heiratest“. In diesem Buch erklärt Maria Zumhorst, dass jede Beziehung sich entscheidend wandeln kann, wenn man etwas für die Selbstliebe tut. Sich selbst zu lieben, sich zu entwickeln, über seine Bedürfnisse zu sprechen führt laut Zumhorst dazu, dass auch der Partner sich auf Dauer ändert und entwickelt und ganz andere Seiten von sich zeigt. Daher ist es eigentlich egal, wen Du heiratest. Denn platt gesagt: Wenn Du Dich nur selbst endlich lieben kannst, wird jeder zum Traummann. Dies ist eine sehr amerikanische Haltung: „We can do it!“ Wenn man die richtige Stellschraube entdeckt und nur genug an sich und der Beziehung arbeitet, kann sich jede Beziehung in eine Traumbeziehung verwandeln.
Dies mag für eine normale und gesunde, aber festgefahrene Beziehung gelten. Es gibt aber eine nicht geringe Anzahl von Beziehungen, wo dieser Ansatz des „We can do it“ voll nach hinten losgeht.
Ähnliches gilt für Bücher und Filme wie „Fifty Shades of Grey“. Eine naive Studentin, die noch Jungfrau ist, verfällt einem reichen, aber gefühlskalten Geschäftsmann. Dieser führt sie in seine Art der körperlichen Liebe ein, die nichts mit BDSM aber sehr viel mit Missbrauch zu tun hat. Es wird deutlich, dass dieser Mann eine schwere Kindheit hatte. Er hat daher so ein gestörtes Bild von Liebe, Beziehung und Sex entwickelt, dass er nur über Kontrolle und Erniedrigung einer Frau Befriedigung findet. Da die Protagonistin ihn aber so selbstlos und aus vollem Herzen liebt, wird er am Ende schließlich von ihrer Liebe geheilt. Sie heiraten und bekommen ein Kind. Ende gut, alles gut.
Real Life Fatal Romance
Ratgeberbücher und Filme dieser Art sind leider nicht mit Warnhinweisen versehen. Daher wird durch solche Botschaften manche Beziehung jahrelang am Leben erhalten, während einer der Protagonisten in dieser „Liebesgeschichte“ einen langsamen, seelischen und manchmal sogar real körperlichen Tod stirbt. In der überwiegenden Zahl der Fälle sind dies Frauen. Daher schreibe ich jetzt mal von einer Protagonistin.
Diese Protagonistin kann eine ganz normale, gebildete und emanzipierte Frau sein. Sie hat sich in einen attraktiven und erfolgreichen Mann verliebt. In der Anfangsphase trägt dieser Mann sie auf Händen und verwöhnt sie nach Strich und Faden. Die Beziehung beginnt sehr leidenschaftlich und liebevoll. Manche Frauen haben das Gefühl, sie sind noch nie so intensiv geliebt worden und haben noch nie so intensiv geliebt.
An einem bestimmten Punkt der Beziehung schleichen sich dann langsam Merkwürdigkeiten ein. Zum Beispiel nimmt der Partner zunehmend Einfluss auf den Kleidungsstil der Frau oder auf ihre Freizeitaktivitäten. Er bittet sie, sich nicht mehr mit ihrem langjährigen männlichen Freund zu treffen, weil er sonst eifersüchtig wird. Er kontrolliert ihr Handy, ihre Post, ihre E-Mails. Begründet wird das damit, dass er sie so liebt. Je mehr sich die Frau einlässt, desto enger wird das Korsett, das der Mann um sie schnürt.
Häufig erfolgt eine totale Verwandlung nach einem Zusammenzug, nach einer Heirat oder nach der Geburt eines gemeinsamen Kindes. Plötzlich gibt es sehr viel Streit, in dem extrem böse Worte fallen. Die Wahrnehmung der Frau wird verdreht. Sie wird ignoriert, nicht mehr ernst genommen oder verspottet und beschimpft. Dazwischen gibt es wieder wundervolle Phasen der Liebe und des Verständnisses. Der Mann entschuldigt sich vielleicht sogar und schwört, dass er sich ändert. Oder er sagt, dass sie nur das und das an sich ändern muss oder sich so und so anders verhalten muss, damit er endlich spürt wie sehr sie ihn liebt und nicht mehr so wütend wird.
Die Frau spürt zu diesem Zeitpunkt vielleicht schon, dass etwas gehörig schief läuft. Sie traut aber ihrer Wahrnehmung nicht mehr so recht. Außerdem ist sie sich nach wie vor sicher, dass er sie liebt und sie liebt ihn. Hier kommt dann vielleicht die „We can do it“-Haltung ins Spiel. Die Frau liest Beziehungsratgeber, das Paar besucht eine Paartherapie, sie spricht mit Freundinnen oder ihrer Familie. Er hat sich überall als der Traummann verkauft. Ihr wird geraten etwas an sich zu tun. Sie tut und tut, aber es wird nicht besser.
You can’t do it
An dem Punkt, wo die Gewalt in der Beziehung klar erkennbar wird, ist die Frau häufig schon so destabilisiert und isoliert, dass eine Trennung ihr fast unmöglich erscheint. Auch die Hoffnung loszulassen und sich einzugestehen, dass sie ein Opfer geworden ist, fällt ihr unendlich schwer. Da in vielen Beziehungen keine körperliche Gewalt ins Spiel kommt, wird die Not nicht sichtbar und die Frau definiert die Beziehung womöglich gar nicht als Gewaltbeziehung. Sie definiert die Ausbrüche als besondere Form von Leidenschaft. Oder sie deckt in koabhängiger Form den schönen Schein der heilen Familie im falschen Glauben, ihren Kindern damit etwas Gutes zu tun.
Niemand klärt sie über die Wahrheit auf, denn die wenigsten Ratgeber und Therapeuten kennen sich aus mit der Dynamik von Gewaltbeziehungen. Die Frau denkt womöglich gar nicht an den Anruf bei einer Telefonseelsorge oder bei einer Hotline zu Häuslicher Gewalt. Wenn es zu ersten körperlichen Übergriffen kommt, interpretiert sie das als Ausrutscher. Oder sie übernimmt die Verantwortung für sein Verhalten, weil sie ihn wieder so gereizt hat, wie er sagt.
Geh! jetzt!
Jede vierte Frau erlebt in Deutschland häusliche Gewalt in der ein oder anderen Form. Das heißt: jeder Mensch in Deutschland hat eine Gewaltbeziehung in seinem direkten Umfeld, ob er es merkt oder nicht.
Für diese Frauen und ihre Kinder ist Trennung der EINZIGE Weg, wieder ein freies und glückliches Leben zu führen. Die Heilung eines Täters IN der Beziehung ist höchst unwahrscheinlich, denn die Täter sehen keinen Anlass, sich zu ändern. Gewalttätige Partner sind in den seltensten Fällen heilbar, schon gar nicht durch die Liebe ihrer Frau.
Diese Frauen müssen in ihrem Wunsch zur Trennung bestärkt und ermutigt werden. Sie brauchen Unterstützer an ihrer Seite, die ihnen den Kopf zurechtrücken und die Dinge beim Namen nennen. Sie brauchen Leuchttürme der Orientierung, denn sie haben häufig ihre klare Wahrnehmung verloren. Wenn sie realisieren, dass sie sich womöglich jahrelang in einer Gewaltbeziehung befunden haben, kann das ein tiefer Schock sein.
Am wenigsten brauchen diese Frauen Berater, Therapeuten, Ratgeber oder Filme, die ihre Trennung in Frage stellen oder nach der Eigenverantwortung der Frau für den Verlauf der Beziehung forschen. Denn: Auch wenn das unbetroffene Menschen schwer verstehen können, ist eine Trennung von einem missbräuchlichen Partner unendlich schwer.
Wenn Du einen Menschen in Deiner direkten Umgebung kennst, der vielleicht in einer solchen Lage ist: Unterstütze sie oder ihn. Hilf die Wahrheit zu erkennen. Hilf bei der Entscheidung zur Trennung. Bleibe erreichbar und stehe zur Verfügung für Gespräche. Das kann im wahrsten Sinne des Wortes lebensrettend sein.
Wenn Du Unterstützung und jemanden zum Reden suchst, kannst Du Dich gern an mich wenden. Schau Dir mein Angebot an. Ein erstes Kennenlerngespräch ist kostenlos und unverbindlich.
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