Ich war zwei Wochen mit meinen Söhnen in Urlaub. In diesem Urlaub ging es mir zum ersten Mal so, dass ich uns als Familie als vollständig empfand. Es gab nur wenige Momente, in denen ich die anderen Vater-Mutter-Kind-Familien beneidete oder an denen mich ihr Anblick traurig machte. Sicher, es kann leichter sein, wenn ein zweiter Erwachsener dabei ist, der sich verantwortlich fühlt. Es kann leichter sein, selbst ein paar ruhige Minuten zu finden. Es kann toll sein, wenn ein Vater dabei ist, der mit den Kindern tobt.
Meine Betonung liegt hier aber bewusst auf „kann“.
In der klassischen Familien-Konstellation habe ich durchaus leichte und schöne Momente erlebt. Ich erinnere mich aber auch an sehr viele sehr belastende Situationen – gerade als die Kinder kleiner und betreuungsbedürftiger waren. Es gab viele Situationen, in denen ich den Urlaub am liebsten sofort abgebrochen oder erst gar nicht angetreten hätte. Wenn ein zweiter Erwachsener dabei ist, der zusätzlich für Belastung, Streit und Kampf sorgt, der sich wenig einbringt und wenn nur mit hohem Konfliktpotential, ist ein Familienurlaub besonders belastend. Besonders im Urlaub zeigen sich die im Alltag oft verborgenen Konflikte und Probleme der Familie. Man kann sich nicht mehr so leicht aus dem Weg gehen. Gleichzeitig sehnen sich alle nach Entspannung und schönen Erlebnissen. Das kann eine schwierige Konstellation sein.
Auch unsere Konstellation war anfangs schwierig. Die Reise und die ersten Tage sind sowohl für mich als auch für die Kinder anstrengend, weil wir uns umstellen müssen auf das andere Klima, die anderen Räumlichkeiten, den anderen Tagesablauf, die anderen Menschen. Anfangs streiten die Kinder sehr viel untereinander und mit mir. Meine Nerven sind sowieso überlastet und ich bräuchte eigentlich dringend Ruhe. Also: Es ist sehr, sehr anstrengend. Anstrengender als zu Hause. Auch in diesen Situationen habe ich gedacht: ich möchte sofort nach Hause. Inzwischen weiß ich aber auch: es ist eine Phase, die vorübergeht, wenn wir uns alle eingefunden haben. Es gab in dem Haus, in dem wir waren, keine Kinderbetreuung, es gab kein Essen, das uns vorgesetzt wurde. Dennoch war es genau so für uns optimal, weil es keinen festen Rythmus gab, weil wir essen konnten, wann und wie wir wollten und weil viele nette Menschen in diesem Haus untergebracht waren – auch ein paar Kinder in ähnlichem Alter. Eine Betreuung war gar nicht nötig, weil die Kinder sich gut verstanden und miteinander Zeit verbrachten. Das Meer war warm und flach und ich konnte es tatsächlich genießen, den ganzen Tag am Strand zu liegen und mich auszuruhen.
In diesem Urlaub habe ich mit vielen Menschen gesprochen – einige leben außergewöhnliche Familienmodelle. Wenn ich unser Familienmodell erkläre, rechne ich mit Nachfragen und Erstaunen. Es ist für mich immer noch eine gewisse Scham dabei. Andererseits ist diese Scham inzwischen klein geworden. Ich erkläre sehr offen, wie wir leben, was schwierig ist, was gut läuft – auch der schon etwas betagten, griechischen Vermieterin. Wenn ich so offen darüber rede, reden die anderen häufig auch offen. Und dann wird sichtbar, was viele oft verborgen halten: Jede Familie hat Leichen im Keller. Jede Familie hat Schwierigkeiten – egal in welchem Modell. Jeder sucht seinen Weg. Manche Wege sind inzwischen leichter geworden. Wenn eine Frau ihre Beziehung nur noch als tot empfindet, muss sie nicht mehr in dieser Beziehung verweilen, weil es vermeintlich für die Kinder besser ist.
Ich habe im Urlaub noch einmal über den Satz nachgedacht, dass der Feminismus das Zerbrechen der Familien begünstige. Sicher, da ist was dran. Aber wenn man es mal genau nimmt, begünstigt der Feminismus einen ehrlichen Umgang miteinander, einen ehrlichen Lebensweg. Ich bezweifle als Scheidungskind, dass es für Kinder besser ist, wenn die Eltern zusammenbleiben, wenn sie nicht mehr miteinander zurechtkommen. Welche Alternative gibt es, wenn die Eltern nicht mehr zueinander finden? Sicher sollte man sich bemühen und an sich und der Beziehung arbeiten. Aber dazu gehören zwei. Wenn einer nicht mitmacht, wird es schwierig. Und: wenn beide nur noch kämpfen und Gewalt ins Spiel kommt, ist es Zeit zu gehen.
Das Bild der heilen Familie kann sehr belastend und beschränkend sein, wenn ich diesem Bild nicht mehr entsprechen kann. Gleichzeitig kann es befreiend sein, sich von diesem Bild zu lösen. Dazu ist es für mich wichtig, immer wieder genau hinzuspüren und hinzusehen: passt das Bild überhaupt noch für mich? Ist es nicht eine Beschränkung meiner Möglichkeiten? Habe ich es vielleicht sogar niemals so gewollt? Habe ich es überhaupt jemals so wirklich erlebt? Gibt es das vielleicht sogar so gar nicht? Sind Kinder wirklich glücklicher, wenn ein klassisches Vater-Mutter-Kind-Modell gelebt wird? Ist Kinderglück nicht von anderen Faktoren abhängig, die nicht allein vom Familienmodell bestimmt werden, z.B. Geborgenheit, Liebe, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit?
Wenn ich diese uralt geprägten vermeintlichen Glücksbilder so auseinanderpuzzele, wird die Wahrheit sichtbar: Das, was ich bin, das, was ich kann, das, was wirklich ist, das, was der andere ist und kann. Es tut immer wieder weh, diese Bilder gehenzulassen und loszulassen. So gern möchte man dem entsprechen. So gern wird genau das auch immer wieder überall betont und sichtbar gemacht. Lächelnde Familien auf Fotos und Plakaten, in Filmen, in der Werbung. Wunderschöne Körper, harmonische Frühstückssituationen, saubere Autos, große Häuser, grüne Gärten – und in diesem Setting die vierköpfige heile Familie. Was hinter dieser sauberen Fassade stattfindet, welche Schwierigkeiten zu bewältigen sind, wird nicht sichtbar.
Familie ist für mich inzwischen eine Gruppe von Menschen (mindestens 2), die füreinander da sind, sich einander verpflichtet fühlen und sich lieben. Schon lange wird Familie für mich nicht mehr nur dadurch bestimmt, ob eine Blutsverwandtschaft vorliegt. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich mich schon früh mit dem Auseinanderbrechen meiner Familie auseinandersetzen musste und mit dem Gewinn weiterer Familienmitglieder, die nicht mit mir verwandt sind, sich aber nah und verwandt anfühlen. Andere, „echte“ Verwandte sind mir dagegen fremd geworden – auch durch die Brüche in unserer Familie, die viele Lügen aufdeckten.
Neben der vielen Traurigkeit über Verluste und Veränderungen ist nämlich genau das auch ein Gewinn: die Ehrlichkeit. Wenn eine Familie zerbricht, kommt das zutage, was schlummerte und auch die Menschen um die Familie herum müssen Position beziehen. Das sehe ich inzwischen als Chance. Ehrlichkeit und Authentizität sind inzwischen für mich eine bessere Richtschnur als medial geprägte Bilder eines guten Lebens.
Bild: Pixabay, stokpic
Der Beitrag gefällt mir! Genau die gleichen Situationen, die ich jeden Tag erlebe.Ich bin traurig darüber das es unsere Familie so wie Früher nicht mehr gibt.Ich will das wieder zurück haben was ich hatte.Aber das geht ja leider nicht.
Ich bin froh das ich so ein lebensfroher Mensch bin.Klar, es gibt immer mal Tage an den ich traurig bin und nicht weiss wie ich es schaffen soll.Hier gehts nicht um Geld.Mein mann zahlt seinen Unterhalt pünktlich!Wie einfach!Es ist das alltägliche miteinander.Aber es kann auch schön sein.Ich habe schon viele neue Menschen kennengelernt .Die Menschen die mich mögen sind auch bei mir geblieben.Ganz viele machen mir Mut.
Es ist einfach alles ANDERS aber ich bin sicher, WIR packen DAS !
Danke, liebe Marion <3