In einem Monat werde ich beim Verband allein erziehender Mütter und Väter in Essen einen Vortrag halten und einen Workshop begleiten. Es geht um Vernetzungsmöglichkeiten von Alleinerziehenden über Social Media. Ich möchte dir gestehen, dass mir dieser Termin Angst macht, denn es ist lange her, dass ich vor Menschen stand und geredet habe. Ich weiß auch nicht, wie und wann ich den Vortrag überhaupt vorbereiten kann, denn ich habe viel zu tun, die Kinder sind derzeit häufig krank, einen Tag vor dem Vortrag hat mein großer Sohn Geburtstag und abends falle ich müde ins Bett.
Dennoch: ich werde das tun. Ich werde am 2. April in Essen stehen und reden. Und warum? Weil ich das will und weil ich es wichtig finde, dass wir Alleinerziehenden sichtbar werden. Ich möchte mir selbst zeigen, dass ich den Mut dazu habe. Und ich möchte auch dir zeigen, dass es geht. Wir alle haben etwas zu sagen. Wir sind viele. Und wir haben über die heutigen Medien tolle Möglichkeiten, aktiv zu werden, unsere Probleme zu benennen und uns gegenseitig zu unterstützen und zu inspirieren. Sicherlich wird nicht jeder auf einer Bühne stehen. Das ist auch gar nicht wichtig. Wichtig ist, dass Sprachrohre entstehen und dass wir dadurch nicht mehr so leicht ignoriert werden können wie bisher. Jede/r kann einen Teil dazu beitragen im Rahmen seiner Möglichkeiten.
Seit ich alleinerziehend bin habe ich gelernt, dass ich zum einen kein perfektes Frauen- und Mutterideal mehr erfüllen kann. Zum anderen gab es einen Punkt, an dem ich mir sagte, dass ich nun nichts mehr zu verlieren habe. Dadurch entstand viel Verzweiflung, Wut, Einsamkeit und Traurigkeit, aber auch Freiheit und Mut. Und irgendwann wuchs in mir die Vermutung, dass wir Alleinerziehenden vielleicht gerade dadurch, dass wir alles nur unperfekt machen können (wenn überhaupt) eine Inspirationsquelle sein können. Denn: In einer solchen Lebenssituation wird besonders deutlich, wie unerreichbar unser Mutterideal ist und was überhaupt wirklich zählt, wenn die Sonne untergeht. Ein Schiff in stürmischer See kann man nicht steuern, wenn man nur auf die Kinder, den Vater oder die anderen da draußen schaut. Erst einmal müssen die eigenen Hände ruhig bleiben und der Kopf einigermaßen klar. Ich bin die Steuerfrau. Und daher stimmt es, was Alexandra Widmer so häufig sagt: Erst einmal muss es mir gut gehen und ich muss mich um mich bekümmern. Sonst läuft der Laden nicht und das Schiff sinkt. Auch heute noch ist das für mich eine der schwersten Lektionen, denn immer noch stelle ich meine eigenen Bedürfnisse gern hintenan. Und wenn mich der Eindruck nicht täuscht, gilt das eigentlich für sehr viele Mütter.
In einer Zeit, in der sich viel um Perfektion dreht, um Erziehungsmodelle und -ideale, um Hochglanzfamilien, -brotdosen und -frühstückstische auf Instagram, um perfekte Frau, perfekte Mutter, perfekte Kinder, perfekte Karriere, perfekten Vater, perfekten Mann schläft am anderen Ende der Welt (meint nebenan) eine alleinerziehende Mutter über dem Kinderbuch ein oder lässt die Kinder fernsehen und dabei essen (von Aldi und nicht Bio), damit sie endlich einmal fünf Minuten Ruhe hat. Die Wohnung ist nicht instagramtauglich. Aber es ist trotzdem eine eigene Art von Familie und Liebe lebendig – jenseits jeglicher Perfektion. Diese Frau, die da so müde über dem Kinderbuch oder vor dem Fernseher neben ihren Kindern einschläft, lenkt das Schiff ihrer kleinen Familie. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Das Beste wird es niemals sein, aber es wird hoffentlich gut genug gewesen sein. Und das reicht. Denn sie ist verlässlich da.
Das, was ich hier tue und das, was ich am 2. April in Essen tun werde, tue ich genau mit dieser Haltung. Ich habe angefangen zu schreiben, weil ich wütend war und weil ich Menschen und Erlebnissen eine Stimme geben wollte, die meist nicht gehört werden. Ich hatte keinen genauen Plan, wohin das Schiff gehen sollte. Ich wusste nur: Ich will das tun und ich möchte etwas dazu loswerden – und wenn ich mich in Grund und Boden blamiere.
Jetzt schreibe ich in diesem Blog etwas mehr als zwei Jahre und es gibt eigentlich alle paar Tage Momente, wo ich mir sage, dass ich aufhöre. Inzwischen liegt es unter anderem daran, weil ich viel tiefer in die Thematik Beziehungsgewalt und Leben als Alleinerziehende eingetaucht bin als vorher und mich da manchmal ohnmächtig fühle. Es müsste so viel bewegt und geändert werden. Es läuft so vieles verdammt falsch. Es ist so frustrierend, dass ich so wenig tun und helfen kann, weil gerade Mütter so wenig Schutz erfahren, wenn sie sich trennen aus einer Gewaltbeziehung. Es ist ernüchternd, wie viele vordergründig wichtige Entscheidungen sich am Ende als Augenwischerei herausstellen.
Dennoch höre ich immer häufiger, dass meine Texte helfen, dass ich weitermachen soll, dass meine Stimme wichtig ist. Und inzwischen hat das eine Dynamik gewonnen, aus der ich nicht mehr einfach ausbrechen kann und will. Es hat ein Eigenleben entwickelt. Und das macht Angst und fühlt sich gleichzeitig gut an. Das ist etwas, das größer ist als ich. Ich habe dem nur meine kleine Stimme gegeben. Und jetzt kommen mehr und mehr Menschen dazu, die sich verbunden und gehört fühlen und die mitfahren wollen auf diesem Schiff.
Ich glaube inzwischen, dass wir genau auf diese Fähigkeit stolz sein können: Wir machen immer weiter, wir bleiben da, auch wenn es ganz schwierig wird und wir nicht mehr weiter wissen. Wir müssen es auch einfach. Wir wurschteln uns durch und müssen nebenher ganz viel liegenlassen und auf vieles verzichten. Wir sind alles, außer perfekt. Aber genau damit dürfen wir uns zeigen. Denn das wird gebraucht in einer Welt, die nur noch perfekt sein will und darin ihre Menschlichkeit verliert.
Es ist daher nicht wichtig, ob ich am 2. April stottere, einen roten Kopf habe oder den Faden verliere. Es ist in erster Linie wichtig, dass ich dort vorne stehe und mich dem stelle. Denn: egal wie unperfekt wir sind, jede/r einzelne von uns zählt mit seinen Erfahrungen, seinem Wissen, seinen Fähigkeiten.
Bild: pixabay, cocoparisienne
Hallo Rona, ich finde Deinen Weg einfach mutig. Und ich denke Du kannst auch vielen anderen Mut machen. Obwohl ich aber bisher nicht in Deiner Situation als Alleinerziehende Mutter war, bin ich auch nicht perfekt. Und ich will gar nicht perfekt sein müssen. Ich bin dieses Mutterbild zutiefst leid. Ich habe es noch nie gemocht, ich habe es gehasst, dieses ständige darüber definiert werden, immer für andere zuerst da zu sein. Ich habe es zwar mal versucht, doch tief in mir drinnen habe ich gespürt, dass es mir die Luft zu, Atmen nimmt, dieses „Nettsein“ dieses „fürsorglich sein“, ich kann es nicht. Ich habe gemerkt, wie sehr ich dabei aufgeblüht bin, wenn ich mich abseits von Familie anderen Dingen gewidmet habe. Ich will gar keine perfekte Mutter sein, weil ich das gar nicht bin. Es erschöpft mich zutiefst. Ich glaube aber dennoch, dass meine Kinder deswegen nicht vernachlässigt worden sind. Bestimmt gab es bei mir manche Annehmlichkeiten nicht, ich habe sie, auch wenn ich vielleicht die Zeit gehabt hätte, versucht selbständig werden zu lassen, habe nicht ständig die Hausaufgaben kontrolliert oder ihre Zimmer aufgeräumt, mit ihnen gespielt etc. Ich glaube aber, dass sie deshalb auch gelernt haben, selbst nach ihren Dingen zu schauen. Ich mag meine Kinder, aber Familie und Kind müssen nicht immer der Mittelpunkt des Lebens sein. Alleinerziehende haben bestimmt finanziell mehr Sorgen als ich, doch ich persönlich glaube, dass sie genauso ihren Kindern einen guten Lebensweg zeigen können, wie andere Eltern auch. Ich persönlich glaube sogar, dass es für Kinder besser ist, wenn sich nicht die ganze Zeit alles um sie dreht. Vielleicht ist es aber für die Kinder wichtig, dass die Eltern sich selbst auch so akzeptieren, wie sie sind, und sich nicht ständig als mangelhaft oder unzureichend bezeichnen, weil sie nicht dem gewünschten Bild entsprechen. Wenn mir persönlich vorgeworfen wird, ich wäre egoistisch, dann ist meine Antwort darauf, wie egoistisch ist eigentlich eine Gesellschaft, die von Müttern aber auch ingesamt von Frau verlangt, dass sie sich ausschließlich in den Dienst der Familie, des Haushalts und der Nächsten stellen soll. Am besten noch ihren Mund halten und ja nicht aus der Menge herausbrechen um sichtbar werden soll. Ich wünsche Dir auf jeden Fall noch weiterhin viel Mut und Kraft für Deinen Weg.
Großartig, du sprichst mir aus der Seele. Bitte höre nicht auf, du tust uns gut! Und solange dir diese (Art von) Rückmeldung (en) auch gut tut, schaffen wir das zusammen!!
Liebste Rona,
wie immer sprichst Du mir aus der Seele. Ich persönlich habe Dir soooooo unglaublich viel zu verdanken, dass Du es Dir überhaupt nicht vorstellen kannst!! In der aller …. alller …. allerschlimmsten Zeit meines Lebens. Ich hatte und habe niemanden (aus bekannten Gründen der Manipulation) an meiner Seite. Selbst mit den Psychologinen hatte ich großes Pech. Aber ich hatte Dich hier gefunden und Du warst in dieser verzweifelten Zeit des Augenöffnens immer hier an meiner Seite und hast mir in allen Dingen eine klare Sicht verschafft. Dafür danke ich Dir von Herzen!!! Ich hätte weder die Kraft, noch den Mut, weder das Selbstbewußtsein welches Du hier so oft an den Tag legst. Aus diesem Grund kann ich Deinen Post hier sehr, sehr gut verstehen. Auch ist mir bewußt, in welchen Gewissenskonflikt man sich befindet, wenn man sich plötzlich vielleicht nicht mehr der ständig anwachsenden Aufgabe gewachsen fühlt. Aber ich bin mir sicher, dass wenn Du Dich dieser nun neuen Aufgabe genauso stark stellst wie Du es hier tust, es für Dich und Deine Persönlichkeit eine weitere große innerliche Stärke (nur für Dich!) verleiht. Ich hoffe, Du kannst mich irgendwie verstehen.
FÜR MICH PERSÖNLICH BIST DU MEINE GROßE … SEHR, SEHR GROßE HELDIN!!!!
Ich glaube an Dich und bin Dir für immer sehr verbunden.
Alles, alles Liebe für Dich!
LG Susanne & Kinder