Ich bin gegangen, aber ich liebe ihn noch Liebe und Beziehungsgewalt

In Beziehungsgewalt, Partnerschaft, Trennung
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Nicht wenige Frauen, die von ihrem Partner misshandelt oder geschlagen wurden, lieben ihren Partner noch – auch nach einer Trennung. Diese Gefühle sind für Außenstehende kaum zu verstehen. Wie kann ich jemanden lieben, der mir so böses angetan hat? Bin ich dann nicht masochistisch veranlagt? Liegt es an mir, dass ich einen solchen Partner angezogen habe? Bin ich gestört? Die Vernunft ist ganz klar in der Entscheidung, sich von so einem Partner zu trennen. Die Gefühle sagen aber etwas anderes. Auch noch Jahre nach einer Trennung können diese Gefühle sehr verwirrend sein und die Wahrnehmung trüben. Bin ich nicht diejenige gewesen, die gewalttätig war? War ich nicht doch Schuld, dass er sich so verhalten hat? Hat er das wirklich getan? Kann er sich ändern? Sollte ich nicht doch auf mein Herz hören und zurückkehren? Gibt es nicht doch noch eine Chance?

Als allererstes möchte ich Dir sagen: Nein, es gibt keine Chance. Und diese Erkenntnis tut verdammt weh.

Besonders weh tut das, wenn Ihr eine Familie gegründet habt mit gemeinsamen Kindern. Gerade dann kann der Wunsch, die Beziehung und die Familie zu retten so stark sein, dass Du doch wieder zurückkehrst mit einer großen Hoffnung im Gepäck, dass alles noch gut wird. Bestärkt kann das werden, wenn der Ex-Partner sich plötzlich wieder von seiner besten Seite zeigt und (vermeintlich) alles tut, um Dich zurückzugewinnen. Wir alle kennen diese Sprüche, dass Liebe alles heilen kann, dass wahre Liebe alles erträgt, dass die Liebe am Ende siegt. In einer Gewaltbeziehung ist diese Einstellung jedoch eine Falle, in die man sehr leicht hineinstürzen kann.

Gewaltbeziehungen leben aus dem Wechselspiel von Liebe und Gewalt. Die Beziehung zu einem (später) gewalttätigen Partner ist anfangs häufig regelrecht berauschend. Es fühlt sich vielleicht an wie eine Seelenverwandtschaft. Die Gefühle zu diesem Menschen entwickeln sich sehr stark. Wenn dann langsam und schleichend die Gewalt einsetzt, stellst Du Dich und Deine Wahrnehmung wahrscheinlich in Frage und verharmlost das Erlebte. Wie kann jemand, der mir Liebe geschworen hat, sich so verhalten? Ich habe ihn wohl provoziert. Er sagt ja, dass das nie wieder vorkommt. Er hatte eben eine schwierige Kindheit, einen schlechten Tag, hat zu viel getrunken, hat die Kontrolle über sich verloren. Sonst ist er ja nicht so. Ich kenne ihn ganz anders.

Erstmal ist dann alles wieder schön und harmonisch und kann es auch eine längere Zeit sein. Bis zur nächsten Attacke und zur nächsten Attacke und zum nächsten Angriff. Zwischen den Attacken und Angriffen gibt es wieder Phasen der Reue, Entschuldigungen, Beteuerungen, dass das nie mehr passiert und dann wieder wunderschöne Phasen. Du schöpfst Hoffnung. Du vergibst. Du vergisst. Du verdrängst. Du empfindest Dich selbst verantwortlich. Du willst mal nicht so sein. Das kann ja mal passieren. Wir sind eben besonders leidenschaftlich. Das hält unsere Liebe aus. Und in der Tat, Deine Liebe erträgt vieles. Du gehst wahrscheinlich nicht davon aus, dass sich so etwas noch einmal wiederholt, dass das System hat. So böswillig willst Du gar nicht über Deinen Partner denken. Du liebst ihn doch. Und er liebt Dich.

Und dann kommt vielleicht ein ganz schlimmer Vorfall. Und jetzt bist Du Dir sicher: Du musst gehen. Du bist in Gefahr. Es geht um Dein Leben. Und dann gehst Du wirklich. Du zeigst Deinen Partner vielleicht sogar an, obwohl es Dich viel Überwindung kostet. Er ist doch der Vater Deiner Kinder, die Liebe Deines Lebens. Schlimm ist das. Du schämst Dich. Und dann kommen die Stimmen von außen. Muss das wirklich sein? Ihr habt doch Kinder. Wollt Ihr es nicht nochmal versuchen? Streit kommt doch in jeder Partnerschaft vor. So schlimm wird es schon nicht gewesen sein. Jetzt sagen Sie mal genau, was passiert ist, Frau XY. Was haben Sie denn selbst dazu beigetragen? Die Kinder brauchen doch einen Vater. Wollen Sie nicht nochmal mit ihm reden? Das kommt in den besten Familien vor. Ihr ward doch ein Traumpaar! Du liebst ihn doch.

Und Dein Entschluss, Dich zu retten, steht auf wackligen Füßen. Du traust Dir selbst sowieso nicht mehr. War das wirklich so? Habe ich das richtig in Erinnerung? War es nicht doch ganz anders? Und Dein Herz sagt: Ich liebe ihn. Ich will zurück. Unsere Kinder… Er hat so herzzerreißend geweint. Er tut mir leid. Er liebt mich. Wir hatten doch eine schöne Zeit. Es war doch alles gar nicht so schlimm.

Und genau hier ist der Punkt, wo Du Dein Herz für längere Zeit auf Eis legen darfst. Denn dieses Herz ist verwirrt. Es ist in einen ungesunden Strudel aus Gewalt und Liebe geraten. Wenn Du jetzt Deinem Herzen folgst, führt es Dich geradewegs ins Verderben. Dieses Herz möchte sich (und Dich) aufopfern für diese wundervollen Gefühle, die mit diesem Menschen entstanden sind – für diese berauschende, süchtigmachende, filmreife Mischung aus Liebe und Gewalt. Aus diesem Strudel kannst Du Dich nur retten, wenn Du der Vernunft das Ruder überlässt. Auch wenn viele behaupten, das wäre ungesund: Für die Trennung aus einer Gewaltbeziehung kann es hilfreich sein, die eigenen Gefühle erstmal auszusperren und sich unter eine Schutzglocke zu begeben. Denn Deine Gefühle sind in dieser Situation kein guter Seismograph mehr. Sie führen Dich in die Irre.

So, und jetzt bist Du getrennt. Du hast die ersten Monate oder sogar Jahre geschafft. Und dennoch bist Du z.B. über gemeinsame Kinder immer wieder konfrontiert mit diesem Expartner. Du hörst immer wieder von ihm, Du siehst ihn immer wieder oder Du schaust alte Photos an. Und schwups ist dieses Gefühl wieder da, die Intensität zwischen Euch, die Anziehung, die Liebe, die durch die Gewalterfahrungen sogar noch verstärkt werden kann. Diese schlimmen Erfahrungen haben Euch zusammengeschweißt. Und wieder stellst Du Dich in Frage. War das alles so? War es das wirklich wert? Warum geht es nicht, wenn wir uns doch ohne Zweifel lieben? Es muss doch einen Weg geben.

Nein, es gibt keinen Weg. Es gibt keinen gemeinsamen Weg. Punkt.

Aber was soll ich mit diesen Gefühlen machen? Was soll ich mit dieser Liebe machen, die ich zu diesem Menschen immer noch habe? Ist das nicht krank? Oder umgekehrt: Wie konnte ich so dumm sein, einen solchen Menschen zu lieben? Ist das nicht krank? Warum habe ich das nicht früher gemerkt?

Es kann sicherlich auf längere Sicht Sinn machen, Dich im Rahmen einer Therapie damit auseinanderzusetzen, warum Du in dieser Partnerschaft gelandet bist, warum sie diesen Verlauf nahm und was Dein Anteil daran war, Dir das gefallen zu lassen. Zum anderen hat aber – völlig unabhängig davon – Deine Liebe ein Recht auf Leben. Die Gefühle, die Dich mit diesem Partner verbunden haben, waren etwas Schönes. Du wolltest etwas Schönes, Du hattest Hoffnung, Du hast auf das Gute gesetzt. Niemand geht in der Regel von vornherein davon aus, dass ein leidenschaftlicher und liebevoller Partner am Ende gewalttätig wird. Aber genau dieser Widerspruch ist nach einer Trennung oft schwer zu ertragen. Noch schwerer ist zu ertragen, dass diese Gefühle von Liebe immer wieder aufleuchten. Aber genau hier kannst Du mit Dir selbst geduldig und gnädig werden und vielleicht einen Blick dafür entwickeln, dass diese Gefühle auch etwas Gutes sind. Denn sie sprechen von Deinem Glauben an das Gute, von Deinem Vertrauen ins Leben, von Deinem Willen, dem Schönen zu folgen und Dir nicht den Mut nehmen zu lassen.

Diese Gefühle der Liebe gehören am Ende Dir allein. Es ist Dein Potential, Deine Herzensenergie, die selbst durch schlimmste Erfahrungen nicht zerstört wurde. Dass diese Gefühle noch da sind, kann Dir zeigen, dass Du noch lebst, dass Du noch eine Sehnsucht in Dir hast und Wünsche und Träume. Es ist Dein Schatz. Wenn Du sicher getrennt bist, kannst Du dann auch vielleicht irgendwann die guten Erinnerungen zulassen, ohne dass Dich diese gefährden. Irgendwann darfst Du diese Erfahrungen als schlimm und furchtbar, aber auch als wertvoll verbuchen, weil sie Dir gezeigt haben, wie stark Du bist und wie gut Du für Dich einstehen kannst. Und dann kannst Du vielleicht irgendwann auch ganz anders und neu entscheiden, wem Du diese Liebe schenken möchtest und wer es – neben Dir selbst natürlich – wirklich wert ist.

Deine Liebe darf sein. Aber Deine Liebe sollte Dich nicht in diese alte Beziehung zurückführen. Denn diese Beziehung wird früher oder später wieder von Gewalt geprägt sein. Geh so schnell und so weit weg wie Du kannst. Aber nimm Deine Liebe mit. Für Dich selbst, für Deine Kinder und für andere. <3

P.S. Mir ist bewusst, dass viele Gewaltbeziehungen ganz anders und viel dramatischer enden können, so dass von einem Gefühl der Liebe überhaupt keine Rede mehr sein kann und jede Konfrontation mit dem Expartner eine einzige Qual ist. Gewalttätige Expartner üben auch nach dem Ende einer Beziehung gern weiter Gewalt auf ihre Expartnerin aus, z.B. über Stalking. Es gibt aber auch die Fälle, wo der Expartner reumütig verschwindet und irgendwann wieder reumütig oder besonders freundlich auftaucht. In diesem Fall ist eine Abgrenzung und Trennung besonders schwierig, weil über das Verhalten des Expartners keine Bestätigung der Gewalterfahrungen mehr gegeben ist. Man kann sich schlicht nicht mehr vorstellen, dass dieser nette Mensch so etwas getan hat oder in Zukunft wieder tun wird. Die Liebesgefühle haben daher eine größere Chance, sich wieder zu entwickeln. Gerade in diesen Fällen ist dann eine besondere Gefahr eines Rückfalls gegeben. Insbesondere für Menschen, die diese Erfahrungen machen, ist dieser Text geschrieben.


Bild: pixabay, SplitShire

2 Comments

  1. Es ist genau so – sooo schwer – so absurd. Sie ferngesteuert fliegt man ins Feuer.

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