Gewalt an Müttern vs. Gewalt an Frauen Derailing revisited

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Mit unschöner Regelmäßigkeit erlebe ich, dass offene Gespräche über Partnerschaftsgewalt an Frauen unter diversen Fairness-Deckmäntelchen verschwinden. Normalerweise kommen diese Vorstöße von Männern, in Form von „aber auch Männer erleiden Partnerschaftsgewalt“ oder „aber auch Frauen sind gewalttätig“ oder „aber nicht alle Männer sind so“. Interessant ist jedoch, dass auch Frauen Gewalt gegen Frauen unsichtbar machen, wenn zum Beispiel explizit über Gewalt an Müttern gesprochen oder geschrieben wird. Diese Form der Argumentation wird auch „Derailing“ oder „Whataboutism“ genannt. Es wird so lange über die Sprachform, die Schreibweise, den Titel oder den Schwerpunkt eines Blogs, eines Artikels oder einer Facebook-Seite herumdiskutiert bis das eigentliche Thema völlig in Vergessenheit gerät. Narzissten benutzen genau diese Methode, um die Wahrnehmung und Aussagen ihrer Partner völlig zu verdrehen („Gaslighting“).

In den letzten Tagen erlebte ich, wie Frauen versuchten, den Titel einer Facebook-Gruppe zu verändern, weil dort explizit Morde an Müttern und Kindern gesammelt werden. Es hieß, Femizide (also Morde an Frauen) beträfen alle Frauen. Daher wäre der Titel der Gruppe zu einschränkend. Außerdem würde der Titel unterstellen, dass nur Mütter bestimmte Probleme hätten, die aber alle Frauen beträfen und dass damit die Morde an Frauen, die nicht Mütter sind, verharmlost würden.

Ich könnte jetzt sagen: Schwamm drüber. Das sind typische Diskussionen wie sie bei Facebook laufen, wenn Leute zu viel Zeit haben.  Ich beobachte aber schon länger, dass vor lauter Fairness gegenüber bitte allen auf keinen Fall über Gewalt an einer bestimmten Gruppe – und schon gar nicht an einer bestimmten Frauengruppe – geschrieben und gesprochen werden darf. Darin reglementieren Frauen sich gegenseitig. Genauer hingesehen liegt in meinen Augen dahinter diese Liebes-Mädchen-Haltung, es allen Recht machen zu wollen und nur keinen zu vergessen. Und vielleicht ist das sogar einer der ganz wesentlichen Gründe, warum zum Beispiel genauere und differenziertere Zahlen zu Partnerschaftsgewalt an Frauen fehlen oder schwer zu beschaffen sind. Vielleicht ist das auch einer der ganz wesentlichen Gründe, warum ich die Diskussion über Partnerschaftsgewalt in aktuellen feministischen Artikeln vermisse. Vergewaltigung ist ein Riesenthema. Aber bitte helft mir mal und sagt mir, wann wo zuletzt ein wirklich fundierter und aufrüttelnder Artikel über Gewalt an Frauen, die vom eigenen Partner verübt wird, erschienen ist. Wo setzen sich Frauen mal wirklich ernsthaft mit diesem so wichtigen Thema auseinander, das jede 4. Frau betrifft? Wo darf auch mal laut und deutlich benannt werden, dass insbesondere Frauen mit Kindern – also Mütter – seit den diversen Sorge-, Umgangs- und Unterhaltsrechtsveränderungen der letzten Jahre dem gewalttätigen Expartner kaum noch entkommen und Schweigen brechen eben nicht reicht?

Liegt es vielleicht daran, dass es Mütter sind und dass es uncool ist, Mütter zu unterstützen, weil sie ja eigentlich „auch nur Frauen“ sind?

In der Diskussion bei Facebook kam das Argument, Femizide beträfen alle Frauen – egal ob Mutter oder nicht – und das „Male-Entitlement“ richte sich gegen Frauen, nicht nur gegen Mütter. Ich sehe das genau anders herum. In meinen Augen ist das Grundmotiv des Patriarchats (meint „Herrschaft der Väter“), Mütter zu brechen. Mütter sind diejenigen, die schwanger sind, Kinder bekommen und zumindest anfangs die engste Bindung zu Kindern haben. Über die female choice können Frauen im Idealfall selbst wählen, mit wem sie Kinder bekommen. Darin liegt eine große, naturgegebene Macht. Daher ist der Hass Müttern gegenüber um ein vielfaches höher als der Hass gegenüber Frauen. Bei Müttern potentziert sich die Ausgrenzung und Diskriminierung, die Frauen ohnehin erleben. Die Erwartung an Mütter und ihre Leistungsfähigkeit ist riesengroß. Gleichzeitig werden sie wo es nur geht ausgebremst. Die Gewaltspitze gegenüber Frauen liegt also in meinen Augen bei Müttern und setzt sich von dort aus fort Richtung Frauen und Mädchen. Genau betrachtet geht es in patriarchalen Strukturen am Ende darum, die freie Entfaltung, die Sexualität und damit zuletzt die Fortpflanzung von Frauen zu kontrollieren.

Wenn also der Fokus auf Morden und Gewalt an Müttern liegt, ist das in meinen Augen genau richtig.

Interessant ist für mich, dass scheinbar nicht nur der Hass und Ablehnung von Männern gegenüber Müttern höher ist, sondern auch der Hass von Frauen. Mütter greifen sich untereinander an bzgl. ihres Erziehungsstils, ihrer Art zu leben und aus vielen anderern Gründen („Mommywars“). Stiefmütter kämpfen gegen Mütter. Feministische Frauen verlachen Mütter, die viel Zeit und Energie in die Familie und die Kinder und nicht nur in die Karriere stecken. Töchter lästern über Mütter. Psychologische Fachliteratur ist voll von all dem Bösen, das von Müttern ausgeht und die Kinder krank macht. Mütterbashing ist also scheinbar sowohl für Frauen als auch für Männer eine beliebte Beschäftigung. „Die Mutti“ will keine sein. Dementsprechend ist auch die Anerkennung für Mütter, die sich um ihre Kinder kümmern und im Job zurückstecken, um ein vielfaches geringer als die Anerkennung für Väter, wenn sie sich maßgeblich einbringen. Als Nebeneffekt dieser ganzen Entwicklungen beobachte ich, dass einige Frauen befürworten, das Wort „Mutter“ ganz zu streichen. „Lesemütter“ soll es z.B. nicht mehr heißen, sondern „Leseeltern“. Ob jetzt 100% (in der Großstadt vielleicht 98%) Frauen und Mütter diesen Job machen und der Name daran auch nichts ändert, interessiert scheinbar keinen. Dass das sprachliche Unsichtbarmachen von Müttern diese noch mehr degradiert, merkt scheinbar auch keiner. Es ist nämlich nicht so, dass nur weil es jetzt „Leseeltern“ heißt, plötzlich die Väter in Scharen die Schulen stürmen und diese ehrenamtlichen Tätigkeiten übernehmen. Den Elternabend könnte man hier in der Gegend der Ehrlichkeit halber auch eher Mütterabend nennen, denn auch da erscheint kaum ein Vater. Elternvertretungen bei Kita und Schule übernehmen ebenfalls überwiegend Mütter. (Wohlgemerkt: Ich lebe auf dem Land. Klärt mich gern auf, wenn es in der Stadt anders ist.)

Wenn nun der Vorwurf kommt, ich wolle Mütter verherrlichen, möchte ich sagen: Nein, darum geht es mir nicht. Mir geht es um ein Sichtbarmachen von Müttern. Um das Erinnern. Denn meine Beobachtung ist, dass die Mütter sowohl in der Fremdwahrnehmung als auch in der Selbstwahrnehmung die Bedeutung, die Stimme und den Einfluss, den sie eigentlich haben, kaum noch erkennen. Auch wenn wir alle Gleichberechtigung anstreben, gibt es schon allein körperlich gesehen keine Gleichberechtigung, weil immer noch Frauen/Mütter Kinder bekommen und stillen. Wenn wir wegen der Gleichberechtigung vergessen, welche Bedeutung Frauen als Mütter haben und Müttern diesen Einfluss nehmen, vermindert das nicht den Hass gegen Frauen und Mütter, sondern stärkt ihn. Wenn mehr Mütter statt 24/7-Leistungsforderungen einfach mal Anerkennung, Wertschätzung, Schutz vor Gewalt und echte, individuelle Unterstützung erfahren würden, sähe unsere Welt anders aus. Da bin ich mir sicher.

Und zuletzt möchte ich noch einmal ganz deutlich betonen: Die Situation von Müttern, die sich aus Gewaltbeziehungen befreien, ist auf sehr vielen Ebenen schwieriger und gefährlicher als die Situation von Frauen ohne Kinder. Zahlen über Femizide speziell an Müttern wären deshalb so wichtig, weil die Fehlentwicklungen im Familienrecht dadurch deutlicher würden. Wenn Familiengerichte Gewalt und Missbrauch an Frauen und Kindern bei Sorge- und Umgangsrechtsentscheidungen ignorieren, steigt die Wahrscheinlichkeit für weitere Gewaltübergriffe bis Totschlag und Mord. Es muss mehr Fachleuten und Entscheidern bekannt werden, dass die Trennungsphase die gefährlichste Phase für Mütter und Kinder ist und dass Täter häuslicher Gewalt ihre Opfer auch längere Zeit nach einer Trennung terrorisieren. Gemeinsame Kinder bieten eine gute Möglichkeit, Mütter über Jahre mit teuren und nervenaufreibenden Familiengerichtsverfahren zu überziehen. Daneben ist über die Beeinflussung der Kinder, Missbrauch an Kindern oder finanzielle Gewalt (Stichwort: Unterhaltsverweigerung) Tür und Tor geöffnet für eine indirekte Quälerei und Schikane der Mutter. Wenn Frauen ohne Kinder die Möglichkeit haben, den Kontakt zum Expartner ganz abzubrechen und damit eine gute Chance haben, der Beziehung dauerhaft zu entkommen, haben Frauen mit Kindern die Möglichkeit nicht. Daneben muss deutlicher werden, dass Frauen ihren Kindern keinen Gefallen tun, wenn sie in so einer Beziehung verharren und dass in diesem Fall der leibliche Vater und seine Rechte nicht wichtiger ist als ein Aufwachsen ohne Gewalt.


Bild: Pixabay, widephish

9 Kommentar

  1. „Feministische Frauen verlachen Mütter, die viel Zeit und Energie in die Familie und die Kinder und nicht nur in die Karriere stecken.“

    Ich bin der Meinung das „feministisch“ hier falsch verwendet wird. Feministinnen sind nicht gegen Familie, und nur auf Karriere aus. Echte FeministInnen sind für die Wahlfreiheit der individuellen Lebensentwürfe, egal ob nur Familie, nur Job oder irgendeiner der vielen Entwürfe dazwischen.

  2. Vielen Dank für diesen Beitrag Rona. Das ist sehr gut geschrieben und gut argumentiert. Warum sind wir nur hier angekommen? Eine Zeitlang war es doch besser, wieso haben wir es verschluddert, welche Kräfte mahlen hier? Ich finde, dass die Beziehung Faschismus und Frauenunterdrückung, Entwertung der Mütter, viel zu wenig beleuchtet wird.. ein Thema im Thema..

    Ich habe dazu was auf meinem Blog geschrieben, vielleicht guckst du mal rein (Tausend Strahlende Sonnen).

    „Jede Schneeflocke ist der Seufzer einer gekränkten Frau irgenwo auf der Welt. Alle Seufzer steigen zum Himmel empor, verdichteten sich dort zu Wolken und zerbrechen in winzige Teile, die dann lautlos auf die Menschen herabfallen.“ ~ Khaled Hosseini

  3. HERZLICHEN DANK, Rona Duwe, für diesen herausragenden, immens wichtigen, hochaktuellen Beitrag!
    Es ist alles enthalten, das es dazu zu sagen gibt – und das in aller Deutlichkeit, Unmissverständlichkeit.
    Ich kann den Ausführungen, dieser Analyse und Faktennennung, nur in vollem Umfange zustimmen.
    Viele Frauen 😉 und Mütter (!) sollten ihn lesen – und verstehen … und: entsprechend reagieren: Wir brauchen Solidarisierung, Widerstand, das Kämpfen um und Einsetzen für unsere basalsten Rechte – als Frauen, als Menschen – gerade und unbedingt ganz besoners tatsächlich aber: als und f ü r Mütter.

    Ja: Mütter sind unentbehrlich, unersetzlich – überall auf der Welt. Und ja, das hat u.a. auch mit Biologie, nichts aber mit Biologismen zu tun, die dann immer gerne – von zumeist Männern – bemüht werden.

    Und ja: Hätten Frauen als Mütter tatsächlich Wahl- und andere Freiheit/en, auch tatsächliche, echte Unabhängigkeit (von männlichem „Wohlwollen“, Gutdünken, Machtgebaren, Manipulation und männlicher Gewalt, Beschädigung, Unterdrückung), würde ihnen die angemessene (!) gesellschaftliche (!) WERTSCHÄTZUNG, Anerkennung für ihr Tun – ihre Leistung (wer diese Sichtweise braucht) – entgegengebracht, hätten Frauen und Mütter insgesamt viel mehr Mitsprachemöglichkeit bzw. würden sie sich mehrheitlich (und nicht in nur Ausnahmefällen, die stets Anpassung an das Patriarchat erfordern) in politischen und wirtschaftlichen Entscheidungspositionen befinden, so sähe die Welt sicher anders – vor allem friedlicher – aus, davon bin auch ich – heute (im Alter von 43 Jahren und als zweifache Mutter) – überzeugt.

  4. Danke für diesen Artikel, liebe Rona! Und auch dir, Sabeth, für den Kommentar. Ich bin den Vorwurf des Biologismus so leid, der von Frauen! immer dann gemacht wird, wenn eine auf die besondere Belastung und Bedrohung der Mütter hinweist. Keine identitäre Ideologie und Pseudo-Gleichberechtigung wird etwas an den biologischen Realitäten ändern. Das so oft zitierte Gender-Mainstreaming bedeutet eben NICHT die Gleichmachung von Frau und Mann (meistens unter Angleichung der Frauen an die Männer), sondern die Beseitigung der aus den jeweiligen Besonderheiten entstehenden Nachteile. Wie z.B. die Rentenlücke der Frauen. Nur beachtet das keiner mehr. Gleichberechtigung heißt für die Mehrheit, Frauen können und müssen auch 24/7 arbeiten, ihre häusliche und erzieherische Arbeit wird ignoriert und natürlich sind auch 9 Monate Körper teilen und weitere Monate/Jahre Stillbeziehung nicht wichtiger als 2 Monate Windelnwechseln. Das ist unerträglich und wir düfen nie aufhören uns dagegen zu wehren.

    • Das hast Du sehr gut auf den Punkt gebracht, liebe Alex. Vielen Dank! Mein Empfinden ist, dass bei Müttern die Benachteiligung von Frauen und auch die Gewaltneigung gegenüber Frauen (damit meine ich sowohl reale körperliche Gewalt als auch institutionelle Gewalt) viel deutlicher wird. Daher glaube ich wirklich, dass das Hauptziel des Hasses Mütter sind.

    • Wie Recht du hast, Alex. – All das gilt als so „selbstverständlich“ – all das, das Mütter, tun, leisten, geben, all ihre Entbehrungen, Verzichte, all ihr Einsatz, Durchhaltevermögen und eben auch: all ihre Benachteiligung, Unterdrückung, Geringschätzung, Beschädigung.

      Ja, es müsste Mutterschaft tatsächlich viel mehr – und anders als nach bisheriger „Tradition“ – feministisch thematisiert werden – eben nicht als etwas Lästiges, Verachtens- oder Bemitleidenswertes, sondern als Kern von gerade Feminismus und letztlich als unverzichtbare, unentbehrliche Basis jeder Gesellschaft, jeder Gemeinschaft.

  5. Liebe Rona und andere, wie erklärt ihr euch die (oberflächlich) gegenläufige Bewegung des Attachment Parenting, der ja meist Mütter folgen. Es gibt Stimmen, die dem Attachment Parenting eine frauenfeindliche, quasi-masochistische Wurzel unterstellen. Die Bedürfnisse der Mütter/Frauen sind im Attachment Parenting den Bedürfnissen der Kinder vollkommen untergeordnet. Ich weiss, das hängt auch von der jeweiligen Auslegung ab, aber ich finde das, was ich so beobachte in den „Attachment Mum Kreisen“ oftmals erschreckend. Das sind oft quasi perfekte Übermütter, zumeist besser gestellt bzw gebildet, die sich nur noch durch ihre Kinder definieren, was oftmals wie eine Inszenierung wirkt.

    Mir geht es oft so dieser Tage, dass ich entdecke, wie gute, progressive Ideen von reaktionären Grundgesinnungen übernommen wurden. Die Frauen und Mütter wurden als frei deklariert, wurden aber in Rollen rückwärts wieder eingezäunt und kontrolliert. Attachment Parening ist wieder so eine Falle. In diesem Konzept wird die Mega-Mama inszeniert. Ich kenne Frauen, die tun das in absoluter Selbstverleugnung und mit der ständigen Angst von aussen schlecht beurteilt zu werden. Wundert einen nicht wenn sich mal ansieht was an den Familiengerichten tatsächlich abgeht. Welche Mutter die darüber Bescheid weiss, wird das nicht irgendwie verinnerlichen?

    Ich habe nur auf dem britischen Guardian einen Artikel gefunden, welcher diesen Aspekt näher beleuchtet, und auch woher Trends wie das „Attachment Parenting“ eigentlich herkommen. In diesem Falle aus USA, von einen erzkonservativen republikanischen Ehepaar.

    https://www.theguardian.com/lifeandstyle/2016/jul/30/attachment-parenting-best-way-raise-child-or-maternal-masochism

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